13.
Geschichte
Vor der Wahl
Auf
ihr Skatspiel wollten sie heute verzichten. Ihre Gespräche beschränkten
sich auf den Hamburger Wahlkampf. Ralf hatte bereits seinen Bogen Papier
mit den vorbereiteten Fragen vor sich auf dem Tisch liegen. In wenigen
Minuten sollte ein SPD-Wahlhelfer aus dem Ortsausschuss zum Politischen
Frühschoppen erscheinen.
Kuddel
prostete Ralf und Walter mit dem ersten Bier zu, wischte sich mit dem
linken Handrücken über den Mund und sagte: Ik bün
güstern meist in`e Eenbahnstraat rinfohrt.
Heff dat Verkehrsschild nich sehn. Bet anne Krüüzung stunnen
de Wahlplakate. Ik weer so aflenkt vun de geschöönten Köpp.
De schöönste is för mi Christa Goetsch vun`e GAL.
Walter lachte. Danach geht es aber nicht! Hast du dir auch die Slogans
angesehen? Kuddel winkte ab. De bläht all bloots de Backen
op, üm anne Macht to kamen!
Das ist ein Lagerwahlkampf geworden, meinte Ralf. Die
SPD kann nur mit der GAL gewinnen und die FDP wirbt offen für Ole!
Und wie seht ihr die Chancen der anderen Parteien? fragte
Walter. Herr Nockemann von der Offensive wirbt für
mehr Sicherheit. Herr Schill ebenfalls und weist auf Kriminalitätsrückgang
während seiner Amtsführung hin.
Ich glaube--- Ralf hielt inne. Ein grauhaariger Mann, kurz vorm
Rentenalter, mit einigen Broschüren unter dem Arm, erschien und wurde
vom Wirt zu einem separaten Platz gegenüber ihrem Stammtisch geleitet.
Walter kannte ihn vom Ansehen.
Er stellte sich vor, ließ seinen enttäuschten Blick über
die wenigen Gäste schweifen, zwang sich zu einem Lächeln und
bemerkte: Na, das wird dann wenigstens nicht so teuer! Im Namen
meiner Partei möchte ich Sie zu einem Glas Bier einladen!
Zwei Männer am Tresen klatschten spontan, und Kuddel brummelte in`n
Boort: Ik kann mien Beer alleen betahlen. Mien Stimm is nich to
kopen!
Während des Bierzapfens bin ich gerne schon bereit, Ihre Fragen
zu beantworten, fuhr der Mann fort. Es meldete sich niemand, und
er wurde auf das Blatt aufmerksam, das Ralf demonstrativ auf dem Tisch
glatt strich. Sie haben sich offenbar schon ein paar Fragen notiert,
sagte er freundlich. Nur keine Hemmungen! Er bleckte die Zähne.
(Wahrscheinlich die dritten!)
Vorab
möchte ich sagen, begann Ralf, daß Herr Mirow sich
ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt hat!
Inwiefern?
fragte der Grauhaarige.
Bis 2006 sollen bis zu 18.000 neue Kita-Plätze geschaffen werden.
400 neue Lehrer sollen eingestellt werden. Eine andere Phrase: Lehrstellen
für alle! Und die Aussage: Mit mir werden Hamburgs städtische
Krankenhäuser nicht verkauft! Wie soll das alles finanziert
werden? Und dann überall der mutige Zusatz: Dafür bürge
ich!
Der
Lokalpolitiker grinste. Sie haben doch sicherlich von dem Senatsbeschluß
über die U-Bahn in die Hafencity gehört. Wir sind dagegen. Diese
550 Millionen werden wir für die von Ihnen genannten Projekte verwenden.
Walter
meldete sich zu Wort. Sie erwecken den Anschein, als seien diese
550 Millionen bereits vorhanden, sozusagen zurückgestellt. Sie sind
aber lediglich veranschlagt und eingeplant und müssten noch über
Steuern hereinkommen!
Dem
Mitglied des Ortsausschusses fiel nichts dazu ein, er sagte: Noch
andere Fragen?
Einer
von den Klatschern am Tresen fragte: Ich habe einen
Brief von Ihrem Bürgermeisterkandidaten bekommen. Warum unterschreibt
er den mit Doktor Mirow, während auf den Wahlplakaten nur Thomas
Mirow steht?
Die
Antwort kam prompt: Die Kandidaten hatten sich verständigt,
im Wahlkampf auf ihre Titel zu verzichten. Von Beust auf seinen Adelstitel
Freiherr und Thomas Mirow auf die zwei Buchstaben vor seinem Namen.
Das
glaube ich nicht! rief ein Gast aus dem Hintergrund. Die Stammwähler
der SPD sind skeptisch gegenüber Akademikern! Das ist reine Wahltaktik!
Bei
von Beust dann aber auch! reagierte der SPD-Wahlhelfer bestimmt.
Sollte er die Wahl gewinnen, er machte eine Pause, natürlich
nur hypothetisch, würde sie sowieso von einer Wählergruppe angefochten
werden. Die meint, es wäre Irreführung der Bürger, wenn
sich einer jungenhaft Ole nennt und in Wirklichkeit Carl-Friedrich
heißt! Allgemeines Gelächter. Wieder
eine Stimme aus dem hinteren Kneipenraum: Noch ein soziales Bier!
Erneutes Gelächter.
Walter
sagte: Ich habe heute morgen die Zeitung am Sonntag
bekommen. Wollen Sie jetzt der BAMS Konkurrenz machen?
Bevor
der SPD-Mann antworten konnte, kam Kuddel ihm zuvor. Ik heff ook
so`n Keesblatt kriegen. De Partei hett nich noog Moot. Links een Bild
vun Thomas Mirow, rechts eens vun Footballer Barbarez mit utspreizten
Armen as een poppenlustigen Fleger. Un as Text bloots HSV Wolfsburg
2:0. Kuddel nahm schnell einen Schluck Bier und fuhr dann schelmisch
lächelnd und ins Hochdeutsche wechselnd, fort: Wenn ich Wahlkampfstratege
der SPD wäre, hätte ich diese Bilder nebeneinander auf die Titelseite
gesetzt. Mein Slogan: Wählen Sie Dr. Thomas Mirow. Er wird
den HSV in den UEFA-Cup führen. Dafür bürgt er!
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