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Unser politischer
Stammtisch 3

Auf dieser Website werden unter anderm auch 'Hemera-Bilder' der MEDIA-Verlagsgesellschaft verwendet. "Copyright (c) 20__ Gertrud Everding. Alle Rechte vorbehalten."

Martin Ripp

 

Humorvolle,
hintergründige
Stammtischgeschichten
von
Martin Ripp

von Nr.13 - 18

13. Vor der Wahl

14. Sozialverträgliche Rationalisierung

15. Der Ethikberater

16. Die Botschaft

17. Das Sommerloch

18. Protest-und Nichtwähler

 

 

 

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PROST!

 

13. Geschichte

Vor der Wahl

Auf ihr Skatspiel wollten sie heute verzichten. Ihre Gespräche beschränkten sich auf den Hamburger Wahlkampf. Ralf hatte bereits seinen Bogen Papier mit den vorbereiteten Fragen vor sich auf dem Tisch liegen. In wenigen Minuten sollte ein SPD-Wahlhelfer aus dem Ortsausschuss zum ‚Politischen Frühschoppen’ erscheinen.
Kuddel prostete Ralf und Walter mit dem ersten Bier zu, wischte sich mit dem linken Handrücken über den Mund und sagte: „Ik bün güstern meist in`e Eenbahnstraat rinfohrt.
Heff dat Verkehrsschild nich sehn. Bet anne Krüüzung stunnen de Wahlplakate. Ik weer so aflenkt vun de geschöönten Köpp. De schöönste is för mi Christa Goetsch vun`e GAL.“
Walter lachte. „Danach geht es aber nicht! Hast du dir auch die Slogans angesehen?“ Kuddel winkte ab. „De bläht all bloots de Backen op, üm anne Macht to kamen!“
„Das ist ein Lagerwahlkampf geworden“, meinte Ralf. „Die SPD kann nur mit der GAL gewinnen und die FDP wirbt offen für ‚Ole’!“
„Und wie seht ihr die Chancen der anderen Parteien?“ fragte Walter. „Herr Nockemann von der ‚Offensive’ wirbt für mehr Sicherheit. Herr Schill ebenfalls und weist auf Kriminalitätsrückgang während seiner Amtsführung hin.“
„Ich glaube--- Ralf hielt inne. Ein grauhaariger Mann, kurz vorm Rentenalter, mit einigen Broschüren unter dem Arm, erschien und wurde vom Wirt zu einem separaten Platz gegenüber ihrem Stammtisch geleitet. Walter kannte ihn vom Ansehen.
Er stellte sich vor, ließ seinen enttäuschten Blick über die wenigen Gäste schweifen, zwang sich zu einem Lächeln und bemerkte: „Na, das wird dann wenigstens nicht so teuer! Im Namen meiner Partei möchte ich Sie zu einem Glas Bier einladen!“
Zwei Männer am Tresen klatschten spontan, und Kuddel brummelte in`n Boort: „Ik kann mien Beer alleen betahlen. Mien Stimm is nich to kopen!“
„Während des Bierzapfens bin ich gerne schon bereit, Ihre Fragen zu beantworten“, fuhr der Mann fort. Es meldete sich niemand, und er wurde auf das Blatt aufmerksam, das Ralf demonstrativ auf dem Tisch glatt strich. „Sie haben sich offenbar schon ein paar Fragen notiert“, sagte er freundlich. „Nur keine Hemmungen!“ Er bleckte die Zähne. (Wahrscheinlich die dritten!)
„Vorab möchte ich sagen“, begann Ralf, „daß Herr Mirow sich ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt hat!“
„Inwiefern?“ fragte der Grauhaarige.
„Bis 2006 sollen bis zu 18.000 neue Kita-Plätze geschaffen werden. 400 neue Lehrer sollen eingestellt werden. Eine andere Phrase: ‚Lehrstellen für alle!’ Und die Aussage: ‚Mit mir werden Hamburgs städtische Krankenhäuser nicht verkauft!’ Wie soll das alles finanziert werden? Und dann überall der mutige Zusatz: ‚Dafür bürge ich!’“
Der Lokalpolitiker grinste. „Sie haben doch sicherlich von dem Senatsbeschluß über die U-Bahn in die Hafencity gehört. Wir sind dagegen. Diese 550 Millionen werden wir für die von Ihnen genannten Projekte verwenden.“
Walter meldete sich zu Wort. „Sie erwecken den Anschein, als seien diese 550 Millionen bereits vorhanden, sozusagen zurückgestellt. Sie sind aber lediglich veranschlagt und eingeplant und müssten noch über Steuern hereinkommen!“
Dem Mitglied des Ortsausschusses fiel nichts dazu ein, er sagte: „Noch andere Fragen?“
Einer von den ‚Klatschern’ am Tresen fragte: „Ich habe einen Brief von Ihrem Bürgermeisterkandidaten bekommen. Warum unterschreibt er den mit Doktor Mirow, während auf den Wahlplakaten nur Thomas Mirow steht?“
Die Antwort kam prompt: „Die Kandidaten hatten sich verständigt, im Wahlkampf auf ihre Titel zu verzichten. Von Beust auf seinen Adelstitel Freiherr und Thomas Mirow auf die zwei Buchstaben vor seinem Namen.“
„Das glaube ich nicht!“ rief ein Gast aus dem Hintergrund. „Die Stammwähler der SPD sind skeptisch gegenüber Akademikern! Das ist reine Wahltaktik!“
„Bei von Beust dann aber auch!“ reagierte der SPD-Wahlhelfer bestimmt. „Sollte er die Wahl gewinnen“, er machte eine Pause, „natürlich nur hypothetisch, würde sie sowieso von einer Wählergruppe angefochten werden. Die meint, es wäre Irreführung der Bürger, wenn sich einer jungenhaft ‚Ole’ nennt und in Wirklichkeit Carl-Friedrich heißt!“ Allgemeines Gelächter. Wieder eine Stimme aus dem hinteren Kneipenraum: „Noch ein soziales Bier!“ Erneutes Gelächter.
Walter sagte: „Ich habe heute morgen die ‚Zeitung am Sonntag’ bekommen. Wollen Sie jetzt der ‚BAMS’ Konkurrenz machen?“
Bevor der SPD-Mann antworten konnte, kam Kuddel ihm zuvor. „Ik heff ook so`n Keesblatt kriegen. De Partei hett nich noog Moot. Links een Bild vun Thomas Mirow, rechts eens vun Footballer Barbarez mit utspreizten Armen as een poppenlustigen Fleger. Un as Text bloots HSV – Wolfsburg 2:0.“ Kuddel nahm schnell einen Schluck Bier und fuhr dann schelmisch lächelnd und ins Hochdeutsche wechselnd, fort: „Wenn ich Wahlkampfstratege der SPD wäre, hätte ich diese Bilder nebeneinander auf die Titelseite gesetzt. Mein Slogan: ‚Wählen Sie Dr. Thomas Mirow. Er wird den HSV in den UEFA-Cup führen. Dafür bürgt er!’“

     

14. Geschichte

Sozialverträgliche Rationalisierung


Nachdem sie ihr erstes Bier serviert bekommen hatten, sagte Walter: „Ihr seid so still. – Keine Themen für unseren Stammtisch?“
„Gesprächsstoff genug!“ antwortete Ralf. „Aber die Bombenanschläge in Madrid stellen alles in den Schatten. Die können schon sprachlos machen!“
„Ja!“ bestätigte Walter. „Egal von welcher Seite, so hinterhältige Anschläge auf unschuldige Menschen kann man nicht begründen!“
Sie nippten nachdenklich an ihrem Bier.
„Ich war gestern an der Überseebrücke“, sagte Ralf. „Da liegt der Flugzeugträger‚Ark Royal’. Wollt ihr euch den nicht auch ansehen?“
„Ik heff in mien Arbeitsleven noog Scheep sehn!“ reagierte Kuddel unwillig. „Een scheunes Krüüzfohrtschipp, so`n richtigen ‚Musikdamper’, den harr ik mi al ankeken. Aver keen Kriegsschipp!“
Ralf lachte. „Das ist mehr ein Ausbildungsschiff! Hunderte von Besuchern waren enttäuscht, weil sie es nicht besichtigen durften. Es waren gar keine Flugzeuge mehr an Bord. Nur ein alter Jeep soll im Hangar gestanden haben. Trotzdem war alles durch die Polizei abgesperrt worden.“
„Keen Wunner“, meinte Kuddel. „De Briten wüllt tominst ehrn klöterigen Jeep retten, wo se de Flegers al klaut hebbt!“
Jetzt musste Walter auch lachen.“Aber was anderes: Habt ihr das von ‚VW’ gehört? Die streichen 5.000 Arbeitsplätze, davon 2.250 in Deutschland. Das kommt durch den Größenwahn. Mit ihrem ‚Phaeton’, den keiner haben will, wollten sie unbedingt in der Luxusklasse mitmischen. Hinzu kommt der Milliardenverlust durch ‚Bentley’. Weil sie in 2003 nur noch 1,1 Milliarden Euro Gewinn gemacht haben, müssen so viele Menschen gehen. Aber die Vorstandsebene rettet ihren Kopf!“
„Das verstehen sie alle!“ übernahm Ralf das Wort. „Früher wurden Manager-Gehälter angehoben, weil sie den Umsatz erhöht hatten. Heute können sie ruhig weniger umsetzen, wenn nur der Gewinn stimmt! Dann werden eben die Personalkosten gesenkt. Entlassen wird ja niemand. Dieses Wort ist veraltet. Heute wird ‚sozialverträglich freigesetzt’!“
„Ja, oder sie produzieren im Ausland!“ bekräftigte Walter. „Stellt euch mal vor: Seit Mitte der 90er-Jahre haben deutsche Unternehmen drei Millionen Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Dagegen ist die Regierung ebenso macht- und hilflos wie die Opposition. Wie können sie dann jemals für 4,6 Millionen Menschen Arbeitsplätze schaffen?!“
„Nu fangt ok noch de ‚Telekom’ an!“ ereiferte Kuddel sich. „De wüllt jedes Johr 10.000 Lüüd ruutsmieten, seggt aver nich in welke Tiet.“
„Das kannst du doch selbst ausrechnen“, erwiderte Walter. „Bei 100.000 Mitarbeitern hat die Firma sich in 10 Jahren selbst aufgelöst.“
„In'n teihnten Johr aver bloots 9.999!“ Kuddel lachte verschmitzt. „De Vörstandsvörsitter dörv blieven. As Verdeenst för sotschaalverträgliche Ratschonalisierung.
De dörv bi de ‚Telekom’ denn dat Telefoon afnehmen un stolt seggen: ‚Keeneen mehr dor!’“

     

15. Geschichte

Der Ethik-Berater


„Ich wünsche frohe Ostern gehabt zu haben!“ sagte Ralf zur Begrüßung.
Kuddel nickte nur und Walter erwiderte: „Wie kann man frohe Ostern haben, wenn man die Schreckensmeldungen aus dem Irak hört von dem fanatischen islamistischen Terror und den Geiselnahmen? Ich frag mich nur, wie das weitergehen soll?“
„De Ami mutt dor wedder ruut!“ antwortete Kuddel. „ Senator Kennedy hett doch al seggt, dat is Bush`s Vietnam!“
“Aber der Amerikaner muß doch noch nach dem Sturz Saddam Husseins die Demokratie dort einführen!“ widersprach Ralf.
„Vielleicht wollen die gar keine Demokratie!“ meinte Walter. „Vielleicht können die gar nichts damit anfangen!“
„Bush hat sich doch damit gebrüstet, daß die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg auch Deutschland und Japan die Demokratie gebracht haben“, antwortete Ralf.
„Ja, aber kennen sie die Mentalität der islamischen, überwiegend aus Arabern bestehenden Bevölkerung?“ zweifelte Walter.
„Nee!“ antwortete Kuddel. „Allens wat passeert is, hett Scholl-Latour vöruut seggt. Toerst hebben em de Dütschen utlacht as inbildschen, verkalkten Mann. He is aver een wohrhaftigen Experte. Em harr Bush man fragen schüllen. Aver he höört jo bloots op de schööne Condoleezza Rice. – Annerswat: Ik heff di un Ralf Maandag nich sehn. Wi wullen uns doch drepen bie'n Oostermarsch.“
„Meine Frau wollte nicht mit“, entschuldigte sich Walter. „Und Ralf hatte seine Enkelkinder zu Besuch.“
„Jo, vergnöögtes Ostereier-Söken! Keen Wunner, dat bloots achthunnert Lüüd op de Straat demonstreert hebbt.“
„Ja, du bist unser ethisches und moralisches Vorbild!“ lobte Ralf ihn mit unterschwelliger Ironie. „Wogegen wurde denn protestiert?“
„Wi hebbt verschedene Transparente hatt. Gegen den Irak-Krieg, gegen Auslands-Einsätze der Bundeswehr un gegen Sozialabbau.“
„Damit kann man Bush, Schröder, Struck und Ulla Schmidt aber nicht beeindrucken! – Aber du könntest dich bei der Bundesbank bewerben. Die suchen einen Berater ‚in ethischen Angelegenheiten’.“
Walter musste lachen. „Ja, die haben ja jetzt den Kodex der Europäischen Zentralbank übernehmen müssen. Der verbietet den vornehmen Bundesbankern aber auch die Plattdeutsche Sprache. Dann hättest du trotz aller Integrität echte Probleme! Bisher wussten sie offenbar nicht, was man unter ‚Vorteilsannahme’ versteht. Aber der Bundesbank-Vorstand hat ja beim Präsidenten Welteke keine schweren Verfehlungen festgestellt.“
„ Deswegen tritt er nicht zurück, sondern will sein Amt bis zum Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen ruhen lassen“, ergänzte Ralf.

„Jo.“ Kuddel nickte. Dat kann einige Maanden duern un deswegen heten siene Bezüge nu Ruhegeld! He hett doch nix verbroken. De Dresdner Bank hett em un sien Familje bloots `n poor Daag över Silvester in`t Hotel ‚Adlon’ slapen laten un de Rechnung betahlt. Is jo ook nich anners as Ruhegeld!” Kuddel machte eine Pause und sagte dann nachdenklich: „Bertha wull ook jümmers maal no Berlin. Worüm nich Silvester? Un worüm nich ‚Adlon’? Is jo noch`n beten Tiet un ik kann noch`n poor Euro op de hoge Kant leggen. Ik heff ook `n Konto bie de Dresdner Bank. Un wenn de mitkriegen, dor slöppt de ‚Ethik-Berater’ vun de Bundesbank un sien Fru, gifft dat ook för mi villicht Ruhegeld!“

     

16. Geschichte
Die Botschaft


Diese  Sternschnuppen sind den meisten Wählern schnuppe!„Jetzt haben wir endlich eine EU-Verfassung!“ sagte Walter und prostete Ralf und Kuddel zu, als wäre es auch ein Erfolg für sie.
„Wenn die Verhandlungen im Dezember 2003 nicht an Spanien und Polen gescheitert wären, hätten wir sicherlich am 13. Juni eine höhere Wahlbeteiligung gehabt!“ war sich Ralf sicher.„Aber das Interesse an der Fußball-Europameisterschaft war ja viel größer als an der Europa-Wahl!“
„Ik weer ok dalslaan!”sagte Kuddel. „Ik harr wett' mit Bertha un heff glatt 'ne Boddel Schampus verloren. Miene Prognose weer üm un bi sösstig Perzent. Aver dat weer dat Gegendeel, de Tall vun`e Lüüd, de to Huus blieven sünd!“
Ralf lachte und Walter meinte: “Du hast das Desinteresse der Bürger unterschätzt!“
„Desinteresse?“ wiederholte Kuddel. „Dat sünd allens Dummbüdels! Mien Naver höört ok dorto. As ik em fraagt heff, of he al sein Krüüz maakt hett, hett he lacht un antert: ‚Ik nich! De kösten veel Geld un bekakeln bloots unwichtige Dingen. Bispeel: As krumm dörven Bananen sien?!“’

Ralf orderte eine neue Runde Bier und bemerkte lachend: „Wo Wasser jetzt schon wieder teurer werden soll! Zweiundzwanzig Millionen Gewinn sind der Stadt noch zu wenig!“
„Ja, ich hab das auch gelesen“,ergänzte Walter. „Eine Kommission prüft, welche Einsparungen möglich sind bei einer Fusion mit der Hamburger Stadtentwässerung.“
„Villicht hunnerte vun Arbeitsplätzen!“ antwortete Kuddel sarkastisch. „Oder se verkööpt den Laden. Bi so`n profitablen Ünnernehmen staht de Köper in`e Slang!“
„Das ist sowieso der Trend, alles zu privatisieren!“ bestätigte Ralf. „Da kann man amleichtesten die Mitarbeiter drücken oder einsparen, um die Gewinne zu maximieren. Ihr müsst mal das Buch von Professor Ziegler lesen: ‚Die neuen Herrscher der Welt’. Da kann einem Angst und Bange werden!“
„Wokeen is Professor Ziegler?“ fragte Kuddel.
„Ein Soziologe, ein streitbarer Moralist aus Genf und Autor mehrerer provozierender Bücher. Er hat hohes internationales Ansehen, gilt aber im eigenen Land als ‚Nestbeschmutzer’. Er ist ein engagierter Streiter gegen die Exzesse kapitalistischer Gewinnsucht und Globalisierungsgegner.“
„Dat is jo een utermaten Mensch!“ rief Kuddel aus.
Ralf nickte. „Er sagt: ‚Ein Mensch, der dauernd um seinen Arbeitsplatz, seinen Lohn und seine Rechte bangen muß, ist kein freier Mensch!’“
Kuddel war beeindruckt, aber Ralf war noch nicht zufrieden: „Seine Botschaft ist: „Wir sollen uns dagegen wehren, dass Reiche noch reicher und Arme noch ärmer werden!“
„Ik wehr mi doch al lang!“ Kuddel kam jetzt richtig in Fahrt. „Ik bün ok Globalisierungs- un Fusionsgegner! As de schwedische Konzern Vattenfall de HEW sluckt hett, heff ik foorts den Verdrag künnigt. Siet de Tiet heff ik ‚YELLOW-Strom’! Un wenn de Hamburger Stadtentwässerung dat Waterwerk sluckt un se Lüüd rutsmieten, denn künnige ik dor ok!“
„Bist du aber konsequent!“ meinte Walter anerkennend. „Leute wie dich braucht die Welt! Schade, dass Professor Ziegler das nicht mitbekommt.“
Kuddel musterte Walter, nicht sicher, ob es ernst oder spöttisch gemeint war.
Ralf gab zu bedenken: „Zu welcher Firma willst du denn wechseln? Die Wasserwerke haben das Monopol in Hamburg.“
Kuddel antwortete ohne groß zu überlegen: „Woso, dat is doch keen Problem! Denn maak ik een Verdrag mit Aumühle, mit ‚Fürst-Bismarck-Quelle’!“



17. Geschichte
Das Sommerloch


„Das ist jetzt meine Runde!“ sagte Walter, der Urlaub gehabt hatte. Seinetwegen waren zwei sonntägliche ‚Frühschoppen’ ausgefallen. Er prostete Kuddel und Ralf mit dem ersten Glas Bier zu. „Ihr habt recht gehabt. Freispruch im Mannesmann-Prozeß bedeutet für mich eine verlorene Wette! Ich kann es immer noch nicht glauben, und wie oft haben wir darüber diskutiert.“
„Wir waren zu laut!“ Ralf lachte. „Die Richterin hat unter anderem gesagt, ihr Urteil wird nicht von irgendwelchen Stammtischen beeinflusst.“
„Stammtisch oder nich!“ wetterte Kuddel. „Dat is de Menen vun de Lüüd op´ Straat. Aver Geldgier is ja nich to bestrafen.“
„Die Staatsanwaltschaft hat ja Revision eingelegt“, sagte Walter. „Aber da wird nichts bei herauskommen. Herr Esser und seine sauberen Kollegen werden ihren Ruhestand als freie Millionäre genießen können und Herr Ackermann wird in einigen Wochen von der Deutschen Bank vom Vorstandsvorsitzenden in den Aufsichtsrat berufen werden.“
„Nun ist erst mal bis September Ruhe eingekehrt“, antwortete Ralf. „Das Sommerloch ist da.“
„Ja, und deswegen werden jetzt Gerüchte verstreut!“ sagte Walter bestimmt. „Angeblich sollen im Herbst vier Minister ausgetauscht werden, um den Abwärtstrend der SPD zu stoppen.“
Kuddel winkte ab. „Jo, allens bloots Sommer-Theater! Wenn dat nich al so´n lang Boort harr, harr de Press wedder över dat Ungeheuer vun Loch Ness schreven!“
Ralf lachte. „Bei der Opposition ist das nicht anders. Erst schlägt Friedrich Merz vor, den Kündigungsschutz ganz abzuschaffen, wird von den Ministerpräsidenten Christian Wulff und Roland Koch unterstützt, und nun rudern sie alle zurück! Herr Merz ist wieder einmal missverstanden worden. Es geht ihm nicht um eine Streichung des Kündigungsschutzes, sondern um eine Flexibilisierung, was immer das heißen mag!“
„Dat sünd allens bloots Profilneurosen!“ schimpfte Kuddel. „Lüüd as Friedrich Merz is dat schietegal, of dat een Kündigungsschutz givt oder nich! Se bruken keene Angst to hebben, dat man se vun hüüt op morgen rutsmitt!“
„Der Kündigungsschutz wird nicht abgeschafft werden!“ war Walter überzeugt. „Sonst würden wir ja noch mehr Arbeitslose bekommen!“
„Experten behaupten aber das Gegenteil!“ widersprach Ralf. „Das Kündigungsschutzgesetz verhindere Neueinstellungen.“
„Experten und Gutachter sind dazu da, dass sie sich gegenseitig widersprechen!“ war Walters Meinung. „ Es kommt immer darauf an, was die Seite hören will, die sie bezahlt!“
„Richtig!“ Kuddel haute in Walters Kerbe. „Du büst al Experte, wenn du wat seggst, wat sik vun sülvst versteiht. Du musst dat bloots so vertellen, dat dat övertüügt. För´n twetes Glas Beer vun Walter bün ik ok Experte un segg em vörut: Hüüt Avend is mit Biesternis to reken!“

18.Geschichte
Protest- und Nichtwähler


„Jetzt herrscht Entsetzen über den Einzug der rechtsextremen Parteien in Brandenburg und Sachsen“, sagte Walter und prostete Ralf und Kuddel mit dem ersten Glas Bier zu.

„Spitzenpolitiker werden auf den Schock erst mal einen Cognac genommen haben. Dabei hatten alle Prognosen Wochen vor der Wahl darauf hingewiesen und das befürchten lassen. Aber keine der demokratischen Parteien hat das aufgegriffen und versucht, davor zu warnen. Niemand war bereit, die Wahrheit über den Zustand der Bundesrepublik zu sagen. Es gibt unter den Politikern einfach zu viele Opportunisten! Nun starrten alle am Wahlabend auf das Ergebnis der Rechten, wie das Kaninchen auf die Schlange und waren entsetzt!“
„Jo!“ bestätigte Kuddel. „Un nu maken se sik dat eenfach un seggen: ‚Allens Protestwähler!“’
„Wirklich?“ Ralf zweifelte. „Was sind denn die vierzig Prozent, die nicht zur Wahl gegangen sind? Was hatten die für Gründe?“
„Das war zum großen Teil auch Protest“, erwiderte Walter. „Protest-Nichtwähler, weil sie von der Politik enttäuscht wurden, die Schnauze voll hatten.“
„Nein!“ widersprach Ralf. „Mit ‚Schnauze voll’, ‚Arbeitsplätze nur für Deutsche’, ‚Gegen asoziale Sozialpolitik’ und anderen dumpfen Sprüchen haben doch die Rechten geworben. Es gibt ja auch noch Menschen, die zufrieden sind und deswegen nichts verändern wollen. Oder welche, die der Meinung sind: ‚Egal wer an der Macht ist, die stopfen sich alle nur die Taschen voll!’ Nicht zu vergessen die Zahl der Resignierten! Die Arbeitslosenquote liegt in Brandenburg und in Sachsen immerhin bei 18 Prozent. Und dann gibt es noch die Desinteressierten, die nicht einmal wissen, um was für eine Wahl es sich handelt, geschweige den Wahltag kennen.“

„Donnerweder!“ Kuddel staunte. „Du sprickst jo as een Parteienforscher. Hest bloots keen Professorentitel! De Desinteressierten sünd för mi afsünnerlich interessant. De maken sik gar keene Gedanken. De hebben een godes Leven und een dickes Fell. De sünd stark noog för `ne egene Partei!“
Walter lachte. „Die Arbeitslosen werden PDS gewählt haben.
Die hat gegen ‚Hartz IV’ Stimmung gemacht, ohne eine Alternative zu haben.“
„Damit reden sie sich alle heraus!“ sagte Ralf. „Beschönigen ihr eigenes Wahlergebnis.
Die SPD
als große Volkspartei scheint mit ihrem einstelligen Ergebnis von 9,8 Prozent in Sachsen zufrieden und stolz zu sein, die NPD um lächerliche 0,6 Prozent überflügelt zu haben. Dabei ist das ein Ergebnis einer Splitterpartei! Und wie werden die Stimmenverluste der CDU und der SPD erklärt? ‚Alles wegen ‚Hartz IV’!’ Wie kommt der Stimmenzuwachs der PDS zustande? ‚Wegen ‚HartzIV’!’ Wodurch ist die NPD und die DVU in den Landtag gekommen? ‚Nur wegen ‚HartzIV’!`’ Warum ist--- “
„Nu is noog!“ unterbrach Kuddel ihn. „Ik bün Sünndag ok nich to Wahl gahn! Aver nich wegen ‚HartzIV’. Ik heff mit Bertha `ne Utfohrt maakt.“

„Wieso? In Hamburg war doch gar keine Wahl!“ antwortete Walter verwundert.„Ach so!“ Kuddel lachte verschmitzt. „Woher schall een Desinteressierter dat weten?“

 

 

 
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