Fridolin,
der Luxus-Engel
Eine Weihnachtsgeschichte
von Claus Günther
"Friiidoliiin!"
rief eine himmlische Stimme. "Friiidoliiin zum Chef, bitte!"
Huiii! Der jugendliche Engel Fridolin, seit 983 Jahren im Himmel, flog
dahin wie der Wind.
.. "Halleluja, junger Freund", begrüßte ihn der Erzengel
Michael.
"Lass dich anschauen. 0 ja. Deine Flügel sind jetzt fast ausgewachsen",
stellte er fest. "Sie sind zwar noch ein wenig lose, aber ich denke,
wir können es wagen, dich zur Erde hinunter zu schicken, was meinst
du?"
"Na- na- na- natürlich", nickte Fridolin, beglückt
und bedeppert zugleich. "Aber w -w -w -wir haben doch bald Weihnachten
-?"
". . . Man ist ein wenig naseweis, wie?" fragte Michael ungehalten.
"Gerade zu dieser Zeit sollst du ja runter. Aber nun tu nicht so,
als ob du den Grund wüsstest! Schließlich bist du ein Engel
im ersten Lehrjahr, ein Azubi, wie man auf Erden sagt, wenngleich ein
himmlischer. Nun, deine Aufgabe ist nicht leicht: Es geht darum, einem
Menschen eine Freude zu machen."
"Einem nur?" dachte Fridolin. "Nur einem? Einem einzigen?
Welch ein Luxus!"
" - und das ist alles andere als einfach," fuhr der Erzengel
fort. "Im Gegenteil. Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer! Vor allem
jetzt", seufzte er, "in der Vorweihnachtszeit..." Fridolin
nickte ernst, es schien beinahe, als habe er begriffen.
Er beugte
das Haupt, bekam von Michael den himmlischen Segen und - "Haaalt!"
- noch einige Ermahnungen, aber da war er bereits auf und davon, hatte
einfach die Flügel ausgebreitet und war, schwuppdiwupp!, irgendwo
auf der Erde gelandet.
Genauer gesagt: Er kam an einem Sonntagabend in Hamburg herunter, vor
einer Villa an der Elbchaussee, aber das konnte er ja nicht wissen. "Ich
habe es geschafft!" dachte Fridolin, der gelernt hatte zu visualisieren,
eine Aufgabe, die er sich vorgenommen hatte, sei bereits erfolgreich bewältigt.
"Ich habe einen Menschen glücklich gemacht!" posaunte er
ins Dunkel hinaus.
. . . "Was ist denn das für ein Krach da draußen?"
hörte er eine barsche Stimme über sich. Das Fenster im Hochparterre
wurde zugeknallt, doch Fridolin war knapp hindurchgeschlüpft und
befand sich nun in einem riesigen Wohnzimmer, ausgestattet mit dem edelsten
Mobiliar, das man sich vorstellen kann. Allein die Teppiche! Die Seidenkissen!
Gemälde! Gobelins! Kronleuchter! Orchideen! Sogar ein Swimmingpool
nahe dem Kamin, mit einer Frau darin!
An einem Tisch aus Alabaster aber saß ein dicker, griesgrämig
dreinblickender Herr, kaute an seinem goldenen Füllhalter und fluchte.
"Meine Aktien! Alle im Keller! Ich bin ruiniert!"
"Den will ich erfreuen!", dachte Fridolin, denn der Mann tat
ihm Leid. Als Engel-Azubi kannte er zwar keine Aktien, doch als er die
blonde junge Frau im Swimmingpool ansah, hatte er eine Eingebung. Fridolin
bündelte all seine Energie, fokussierte sie und - zack: "Nu
mach bloß keinen auf arm", sagte die Blonde plötzlich
zu dem Mann. "Du hast doch noch das Überseepaket und deine Beteiligung
an dem Weltraumprogramm !"
Wie elektrisiert sprang der Dicke auf. "Waaas? Mensch, Mausi, du
hast ja Recht! Wie konnte ich das vergessen! Dafür " ,er watschelte
eilig auf sie zu, "kriegst du einen Kuss!"
"Siehste", dachte Fridolin, "siehste, wie er sich freut?
So einfach ist das. Jetzt habe ich sogar zwei Menschen glücklich
gemacht! Ich bin ein Luxus-Engel!"
Doch die Blonde fauchte zurück: "Einen Kuss? Den kannste dir
an den Hut stecken, Alter! Kauf mir das Diadem, das wir bei Wempe gesehen
haben. Was sagst du? Irrsinnig teuer? Na und? Du hast es mir versprochen,
Dicker! Schriftlich! Das Schreiben hat mein Anwalt!"
Da griff sich der rundliche Mann ans Herz, wankte zum Fenster und riss
es weit auf.
Fridolin
aber flog traurig hinaus. Luxus-Engel? - Von wegen. Er hätte natürlich
den Mann im Lotto gewinnen lassen können, eine Eingebung hätte
genügt - dann wäre der noch reicher geworden. Aber würde
der sich richtig gefreut haben? Nein. Oder die Frau? Auch nicht.
Ziellos durch den Abend schwirrend, gewahrte Fridolin Wasser unter sich,
überflog eine Brücke, erblickte eine Vielzahl von Lichtern,
hörte Musik, hörte Menschen lachen, und ein unwiderstehlicher,
geradezu himmlischer Duft betörte seine Sinne. Jegliche Vorsicht
außer Acht lassend, flatterte er hinab und landete vor dem Rathaus,
mitten zwischen den Buden des Weihnachtsmarktes.
Wie magisch angezogen, nippte er an einem Glas Glühwein, hüpfte
weiter zur nächsten Bude, nahm dort, mutiger geworden, einen kräftigen
Schluck Eierpunsch, danach Glühwein mit Amaretto, dann mit Rum. Der
reinste Luxus! Fridolin - war selig.
Freilich wunderten sich manche Leute. "Du hast ja einen kräftigen
Zug heute, Lisa!" "Ich? Wieso denn, Kurt?" "Dein Glas
ist schon wieder leer!" "Kann ja nicht angehn. Warst du das?"
Fridolin war natürlich im Vorteil, denn Engel sind bekanntlich unsichtbar
- meistens. Was er aber nicht wusste, war zweierlei: Erstens vertragen
Engel keinen Alkohol, und zweitens:
"Seht mal den Nackedei! "
"Wie niedlich, mit Flügeln. Der is betrunken!"
"Hilfe, Polizei!"
Fridolin machte die Flatter, erhob sich schwerfällig in die Lüfte,
wobei er fast einen Flügel einbüßte, torkelte über
Hamburg hinweg, dann im Sturzflug, rasend schnell, zischte knapp an einer
Starkstromleitung vorbei, wäre fast, vom Flutlicht geblendet, im
Tor des HSV gelandet, und platschte schließlich, irgendwo in Eimsbüttel,
in einen Vorgarten, wo er erschöpft liegen blieb, seine Blöße
notdürftig mit den Flügeln bedeckend, die er einfach abgeschraubt
hatte.
So fand ihn, ein paar Stunden später aus der Disco heimkehrend, die
20-jährige Sabine.
"Ach, mein Engel," sprach sie ihn mitfühlend an, nachdem
sie ihn geweckt hatte. "Du bist ja völlig unterkühlt in
deinem Luxusbett!
Wo kommst du überhaupt her?"
"V - v - v - von da oben", erwiderte Fridolin fröstelnd
und erhob sich schwankend.
"Na so was", sagte das Mädchen. "Du kannst mitkommen,
wenn du willst. Ich wohne nicht weit weg. Komm, ich trage deine Flügel."
Und da Fridolin nickte, gingen sie nebeneinander durch stille Straßen.
Unter dem Licht einer Laterne hielten sie inne und nannten einander ihre
Namen. Sabine aber blickte Fridolin von oben bis unten an und meinte lächelnd:
"Du machst mir vielleicht Spaß..."
Tja, da kam natürlich Freude auf, denn nun hatte Fridolin seine Aufgabe
gelöst.
Jedenfalls nach irdischen Maßstäben. Dass er vielleicht gar
kein Engel ist - wen kümmert das? Der himmlische Altersunterschied
wäre ohnehin zu groß gewesen, viel
zu groß...
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