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        Probleme Erzählung 
          von Edgar Brinkmann
   Ich 
        saß im Bus und sah aus dem Fenster. Da erblickte ich eine ehemalige Kollegin, die ich einst sehr gemocht hatte.
 Auch jetzt, wie sie mit Kopftuch, schmal und wie verlassen im Regen an 
        der Haltestelle stand, da war, was ich an ihr so geschätzt hatte, 
        gleich wieder präsent. Sie war unter den Kollegen und Kolleginnen 
        diejenige gewesen, mit der ich nahezu über alles hatte reden können, 
        die zuhörte, die alles verstand, die mit ihrer sanften, etwas männlich 
        tremolierenden Stimme Probleme sachlich kommentierte und beurteilte, der 
        Solidarität kein Fremdwort war.
 Sie stieg hinter meinem Rücken ein. Ich hatte den Eindruck: sie sah 
        mich nicht. Ich wollte auch nicht gesehen werden. Zwar hätte ich 
        gern erfahren, wie es ihr ging, aber ich hatte ein Problem, über 
        das ich sann.
 Also 
        blickte ich nach draußen. Jedoch ahnte ich mehr, als dass ich's 
        sah, dass sie sich auf der anderen Seite in dieselbe Reihe gesetzt hatte.
 Nun hatte es aber kaum noch Sinn, über mein Problem nachzudenken, 
        wurde ich doch daran gehindert durch das dauernde Gefühl, von ihr 
        angesehen zu werden - nicht minder auch durch mein stetes eigenes Verlangen, 
        zu ihr hinüberzublicken.
 Fast war ich versucht, es darauf ankommen zu lassen; sollten sich unsere 
        Blicke treffen, so würde ich den Überraschten spielen; es dürfte 
        mir nicht schwerfallen; ich würde die Augen aufreißen, die 
        Brauen hochziehen, und das nötige Lächeln käme überhaupt 
        von ganz allein. Doch blickte ich nur feige aus den Augenwinkeln. Sie 
        saß ja gleich neben dem Gang, hatte mich wahrscheinlich immer noch 
        nicht gesehen, denn sie las in einem Buch.
 So leistete ich es mir, öfter und weniger versteckt hinüber 
        zu sehen. Freilich musste ich bald den Bus verlassen.Natürlich, es 
        würde, wenn ich aufstand, spätestens wenn ich an ihr vorbeiging, 
        zu dem Blickkontakt kommen, was folgenlos geschehen würde, denn ich 
        stieg ja aus, das sah doch jeder. Also stand ich auf - doch sie las.
 Ich ging vorbei - und sie las. Doch schien mir, während ich dicht 
        an ihr vorüberging, ja sie fast berührte, dass sie, indem sie 
        scheinbar weiterlas, unter den Lidern hervorblinzelte.
 Um 
        mich zu vergewissern, hätte ich in die Knie gehen und sie in gebückter 
        Haltung ansehen müssen.
 Ich tat es nicht und verließ mit dieser Ungewissheit den Bus.
 Die flüchtige Begegnung mit der ehemaligen Kollegin wurde zum Problem. 
        Noch als ich die Büroräume betrat, beschäftigte es mich.
 Erst als ich alle Konzentration auf meine Arbeit lenkte, vergaß 
        ich es. Abends, wieder im Bus, meldete es sich erneut.
 Es störte mich mehr als ich wahrhaben wollte. Denn vor allem beunruhigte 
        mich,
 dass mir über diesem Problem mein eigentliches abhanden gekommen 
        war.
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          Satire 
          von Claus Günther: 
          "Die Wasseruhr geht verkehrt!"
    Neulich 
        morgens, ich sitz nachn Frühstücken inne Küche und bin 
        graade so schön an Lesen... "Kardel-Heinz!"
 Rietsch! seggt dat - großen Riss inne Sseitung, so hab ich mir verschrocken.
 "Kardel-Heinz!", ruft Eerna gleich noch mal ausm Badessimmer. 
        Na, denk ich, nu issie wohl mitte Kloschüssel zusammgebrochen. Eerna 
        ischa 'n büschen kompleet, verstehstu? Ich also as'n geölten 
        Blitz hin nach ihr - da steht sie gebückt vore Wasseruhr, die wir 
        grade neu gekricht hatten.
 
 "Die 
        Uhr geht verkehrt!", sacht Eerna. "Das mussu bein Hauswirt melden. 
        Oder nee, ruf man gleich beie Wasserwerke an."
 Ich vesteh erst mal gaa nix. Ich seh bloß ihren dicken Achtersteven. 
        Aber den hat Eerna denn - slawumm! - beiseite gehievt und mir das gezeicht:
 "Kuck ma, Kardel-Heinz. Wenn ich hier aufe Spülung drück 
        - siehstu: so - denn geht da ja das Wasser wech, mit Pipi und alles, nich? 
        Denn läuft die Uhr und zählt den Verbrauch, nich? Und wenn die 
        Spülung aufgehört hat, denn plätschert von oben frisches 
        Wasser nach."
 "Klar", sach ich. "Der Wasserkasten muss ja wieder voll 
        werden."
 "Jou!" Eerna hat schon richtich Triumph in ihre Stimme. "Denn 
        läuft die Uhr auch weiter, nich? Aber wenn ich nu hinternach wieder 
        muss - "
  Ich sach: "Hassu Dünnpfiff, oder was?"
 "Kardel! Das is doch bloß theheretisch! Also wenn ich denn 
        das nechste Mal muss - oder du, ischa egal - denn zählt das wieder 
        aufe Uhr. Aber das Wasser, was sie denn verbraucht, das hat sie doch vorher 
        schon den Kasten mit voll gemacht und hat das auch angezeicht aufe Uhr! 
        Das is ja denn doppelt! Also geht die Uhr vekehrt, Kardel-Heinz. Du muss 
        unbedingt 'ne neue besorgen! Kuck ma, die annere Wasseruhr inne Küche, 
        nich? Da issas nich so. Wenn ich da Wasser ausen vollen Kocher nehm, für 
        wenn ich Kaffe aufbrühen tu, denn läuft die Wasseruhr übehaupt 
        nich, und das is auch gut so!"
 
 Manno, ich sach dir, du! Mit Logik kannz da nix machen. Ich hab Eerna 
        das sogar aufgemardelt! Aber nee, da wollte sie rein gaa nix von kapiern. 
        Und denn hat sie da selber angerufen.
 Erst beie Wasserwerke - der da anne Strippe war, der liecht nu mit kaputte 
        Nerven in Krankenhaus,- und denn bei unsern Hauswirt. Das is 'n alter 
        Mann. Der hat hinterher geweint, so fertich war der.
 Nu mussu aber nich denken, dass Eerna dumm is oder so, nee nee! Das war 
        allens bloß Taktik! Hätte ich mir einklich gleich denken könn. 
        Wie sie nemmlich bei kein ein vonnie Leute was geworden is mit ihre Reklamatschon, 
        da krichte sie die Wasser-Spareritis - aber wie! Hochgradich!
 
  "Kardel-Heinz! 
        Wieso mussu dir denn ümma nass rasiern? Bloß weil das modern 
        is? Du hassoch noch den alten Trockenrasierer in Keller! Und warum wissu 
        dir schon wieder die Hände waschen? Hassu doch gestern erst! Kannz 
        lieber mal das Kaffegeschirr abspülen, da wern deine Foten von alleine 
        bei sauber. Aber gieß das Wasser denn nich wech - da will ich noch 
        deine Socken in ausspülen!" Ich sach: "Eerna", sach ich, "du nervst mir mit dein Wasser!"
 
 Mann, war ich sauer! Das war aber erst der Anfang. Wie ich inne Nacht 
        mal hoch musste, hör ich mit mal: Bong! Plopp! Bong-bong Plopp-bong-plopp! 
        Ich mach Licht an - da rollen lauter leere Plastikflaschen vor meine Füße 
        rum! Und denn war Eerna auch wach und gleich am Schümpfen: Warum 
        ich die Flaschen umgekippt hab, ob ich denn nich kucken kann?
 "Nee", sach ich. "War ja vorher dunkel, nich? Und ich kenn 
        den Weech ins Bad im Schlaf und bin hier noch nie im Leben über Leergut 
        gestolpert! Wo kommt das überhaupt her?"
 "Von Aldi!", sacht sie spitz. "Du und ich, wir ham das 
        ausgetrunken. Und ich hab die Selterflaschen über Nacht aufen Kopp 
        gestellt, weil da noch was ssu Trinken ssusammenloift und weil wir dadurch 
        Wasser sparen. Aber du mit deine Käsemauken krisst alles kaputt!"
 Ich soll mir nich so anstellen, hat sie noch gesacht. Dass ich mir da 
        fast 'n Genickbruch über gestolpert hätte, hat Eerna einfach 
        wechgewüscht mit ihrn schlechten Gewissen.
 Wie das nu an nechsten Tach anfing ssu reechnen, sollte ich Pötte 
        und Eimers auf'n Balkon stellen. Ich sach: "Du büscha woll mall!", 
        sach ich. "Wossu soll das denn gut sein?"
 "Für ssun Wasser auffangen, Mensch! Will ich mit kochen!"
 "Eerna! Bissu noch ssu retten? Hassu noch nie was von sauern Regen 
        gehört?"
 "'türlich", sacht sie. "Graade! Ich koch doch heute 
        saure Suppe!"
 
 Kommz nich gegen an. Wie denn aber die Abrechnung im Briefkasten laach, 
        vonne Wasserwerke, da hab ich allerdings gesehn, was wir gespart hatten 
        inne Zwüschensseit,
 und da hatte Eerna mich denn auf ihre Seite. Ich mein', dassas Wassersparen 
        mit Vorteile veknöpft war, auch für unsereins pesönlich, 
        das hatte ich sowieso schon gemerkt. Auf Eerna ihrn ausdrücklichen 
        Wunsch hab ich nemmlich meine Unterhosen acht Tage durchgetragen,
 wie früher, inne Junggesellensseit, und gewaschen haben wir uns sowieso 
        nur noch montags und freitags. Wenn das mal 'n büschen strenge gerochen 
        hat - kein Problem: Wossu gibtas Parföngs, nich?
 Na, und auch sonz ham wir uns denn vetragen. Wenn inne Elbe Hochwasser 
        angesacht war,
  sind 
        wir mit Eimers losgezogen und ham da geschöpft, anne Landungsbrücken.Natürlich 
        ssu Fuß, weil das Benssin so toier is. Einmal, wie wir ssu Hause 
        angelangt war`n, hatten wir sogar 'n Fisch mit im Eimer, da hatten wir 
        nich nur Wasser auf Vorrat, sonnern auch gleich was ssu essen! Kannz ma 
        sehn, wie sauber das Wasser inzwüschen inne Elbe is. 
 Übrigenz: Auf Klo gehen gehen wir praktisch gaa nich mehr - jenfallz 
        nich ssu Hause. Wir ham ja das Finanzamt bei uns inne Nähe, und da 
        is 'ne Kantine bei. Und 'ne Tolledde! Sehr sauber alles, kannz von Fußboden 
        essen! Wenn wir nachts mal müssen, ssu Hause mein' ich, denn halten 
        wir das an. Alles Trehning, sach ich dir! Dafür morgns, wenn das 
        Finanzamt aufmacht, denn sind wir da immer die Ersten. Na, und am Wochende 
        gehn wir ja oft inne Natur. Gehtalles, wenn man nur will!
 Bloß einmal, einmal hab ich Eerna 'n Korb gegeben. Da hat das nemmlich 
        bei uns gebrannt, gleich ummer Ecke rum, bei Krause. Da war die gansse 
        Foierwehr da, mit Tatütata und alles. Na, und Eerna gleich:
 
  "Los, 
        Kardel-Heinz, schnell schnell, wir nehmen unsere Eimers mit!" "Wat?", sach ich. "Beim Löschen helfen? Nee, Moppelchen, 
        das is ssu gefährlich!"
 "Helfen?" frächt sie und tippt sich anne Stirn. "Helfen? 
        So'n Quatsch! Denk doch mal 'n büschen nach, Kardel-Heinz. Das gansse 
        schöne Löschwasser - was da alles vorbeifällt! Wär' 
        doch jammerschade um. Brauchst bloß in Strahl reinhalten den Eimer, 
        und das Wasser auffangen - schwupp! - is er voll."
 Nee. Nich mit unsereins. Ich mein', 'n büschen Pijeteht gehört 
        da ja auch mit ssu, wenn einer abbrennt. Grade aufe Nachbarschaft!
   
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