|  
        
  Damals . . .
 
 | 
   
    | Silberhochzeit, am 17.August 1942
 von Meta 
        Techam "Heute 
        halten wir mindestens eine Stunde Mittagspause", sagt Vater und lächelt. 
        "Aus gegebenem Anlass", fügt er hinzu."Du denkst daran?" Mutter ist freudig überrascht.
 "Ja", sagt Vater "vor fünfundzwanzig Jahren war genau so ein heißer Sommertag 
        wie heute, und wir beide haben geheiratet."
  Wir sitzen am Feldrand, ein Holunderbusch gibt uns Schatten. Mutter packt 
        die Butterbrote aus den Rhabarberblättern, und ich schäle die Gurken. 
        Der Gerstenkaffee in der großen Kanne ist kühl, er hat die ganze Zeit 
        im Wasser des Grabens gelagert.
 Die Luft flimmert vor Hitze. Die Bienen summen in den Kleeblüten am Grabenrand, 
        sonst ist Stille.
 Der kräftige Geruch der reifen Getreidehalme zieht durch die Luft, gemischt 
        mit dem schwachen Duft der welkenden Mohnblüten. Wir sind bei der Ernte. 
        Vater mäht den Weizen, Mutter und ich binden die Garben und stellen die 
        Hocken auf. Wir haben sehr früh am Morgen angefangen, das halbe Feld ist 
        schon abgemäht.
 
 Ich möchte gerne die Geschichte vom Hochzeitstag meiner Eltern noch einmal 
        hören. Sie interessiert mich sehr. Ich bin neunzehn Jahre alt.
 "Ihr mußtet damals zu Fuß zur Kirche gehen, obwohl der Weg doch so weit 
        war?" frage ich.
 "Ja", sagt Mutter, "der Gutsbesitzer Gutzeit gab uns keinen Wagen, weil 
        alle Pferde zur Ernte gebraucht wurden. Es war doch Krieg und die besten 
        Pferde hatte das Militär geholt."
 "Und fast hätte es mit meinem Fronturlaub nicht geklappt", erzählt Vater. 
        Er ist heute, an diesem besonderen Tag, viel redefreudiger als sonst.
  "Du hattest große Mühe, um ein Paar Schuhe zur Hochzeit zu bekommen", 
        sagt er zu Mutter und legt seine harte Arbeitshand zart auf Mutters nackte, 
        staubige Füße.
 "Aber dann waren es nachher auch ganz feine Knopfstiefelchen, und du hattest 
        deine Soldatenuniform zur Hochzeit an und kamst aus Russland." Mutter 
        verstummt plötzlich.
  
 "Wo unser Junge wohl ist? Ob er noch am Leben ist?" sagt sie nach einer 
        Weile. Ihre Stimme hat jetzt einen anderen Klang.
 "Immer wieder Krieg. Jetzt ist unser Sohn in Russland, wie du vor fünfundzwanzig 
        Jahren."
 Vater streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
 Das Haar ist silbern.
 Das Land meiner Kindheit liegt nicht irgendwo, es liegt in mir. Niemand 
        hat es mir genommen, nur der Weg dahin ist weit.
 
 
 
Hinter 
        diesem Fenster von 
        Meta Techam  Ich stehe 
        im Schnee vor dem Fenster eines niedrigen Hauses. Das Strohdach reicht 
        schützend weit über das kleine Fenster hinaus. Die einfachen Läden aus 
        schlichtem Fichtenholz sind geschlossen. Das alles sehe ich nur in Gedanken. 
        Tief in mir höre ich die Stimme meiner Mutter, die mir vor mehr als einem 
        halben Jahrhundert erzählt hat, was in der Stube hinter diesem Fenster 
        geschehen ist. 
  Es 
        ist eine kalte Winternacht im Jahre 1922. In der Dunkelheit des kleinen 
        Zimmers atmen fünf Menschen. Noch nicht einmal das Mondlicht schimmert 
        durch die geschlossenen Fensterläden. Anna, die junge Frau, ist wach, 
        neben ihr schläft Rudolf, ihr Mann. Das vierjährige Töchterchen Charlotte 
        liegt zusammen mit der Großmutter in einem Bett an der gegenüber liegenden 
        Wand, in der Wiege daneben schläft das zweijährige Fritzchen. In dieser Stube wird gewohnt, gekocht und geschlafen.
 
 Anna hat Schmerzen. Vor kurzem hat sie ihr drittes Kind, ein Mädchen, 
        geboren. Es ist nach wenigen Tagen gestorben. Anna kann sich nicht wieder 
        erholen.
 Sie schafft es nicht, ihre beiden Kinder zu versorgen. Auch kann sie nicht 
        die Arbeitstage beim Bauern ableisten, zu denen die Familie verpflichtet 
        ist, weil sie die Stube im Insthaus des Bauern bewohnen dürfen. Anna muß 
        viele Tage im Monat zur Arbeit gehen, denn der Arbeitstag einer Frau zählt 
        nur halb so viel, wie der des Mannes.
 Alles muß jetzt die Großmutter, Annas Mutter, bewältigen. Sie macht die 
        Arbeit beim Bauern und versorgt die Kinder. Oft fragt die Oma, was sie 
        Rudolf in den Rucksack tun soll, wenn er in der Dunkelheit des Wintermorgens 
        zur Waldarbeit geht. Als Holzfäller verdient er nur wenig und alles ist 
        so teuer geworden.
 Wie oft besteht das Essen für die ganze Familie nur aus zwei Salzheringen, 
        Pellkartoffeln und einer mit Heringslake verbesserten Mehlsoße. Da Anna 
        derzeit nicht beim Melken sein kann, fehlt es sogar an der Milch für die 
        Kinder.
 
 
  Anna 
        merkt, daß auch Rudolf nicht schläft. Er dreht sich behutsam zu ihr um. 
        Warmherzig blickt sie in seine strahlend blauen Augen und streichelt seine 
        schwarzen Locken. Er hat zu ihr gehalten und sie gegen den Willen der 
        Eltern geheiratet, als sie ein Kind trug vor fünf Jahren. Nun leben sie immer noch zusammen mit der Großmutter in dieser engen Stube. 
        Rudolf verläßt ganz leise das Bett.
 Das vertraute Knarren der Dielenbretter zeigt ihr, daß er auf den Stuhl 
        zugeht, auf dem seine Kleider liegen. Sie kann hören, daß er sich anzieht. 
        Anna erschrickt! Was hat er vor? Es ist doch mitten in der Nacht. Er geht 
        wortlos hinaus und macht leise die Tür hinter sich zu. Beunruhigt starrt 
        Anna in die Dunkelheit und wartet. Da, Rudolf kommt zurück! Sie will gerade 
        aufatmen, als sie merkt, daß er zu ihrer Mutter geht und leise auf sie 
        einredet. Auch die Oma steht auf und zieht sich an. Beide gehen, weiterhin 
        wortlos, hinaus in die Winternacht. Es dauert lange bis sie wiederkommen. 
        Sie schleppen etwas Großes, Schweres in die Stube.
 
 Jetzt endlich zündet Rudolf einen Kerzenstummel an und in dem schwachen 
        Licht erkennt Anna, daß vor ihrem Bett ein toter Hirsch auf dem Boden 
        liegt.
 Die Mutter macht den Kellerdeckel auf und da hinein zerrt Rudolf das Tier.
  Dann schließt er die Luke wieder, zieht den schäbigen Flickenteppich sorgfältig 
        darüber und löscht das Licht. Jetzt erzählt er leise, daß er am Vortage 
        bei der Waldarbeit einen vom Revierförster angeschossenen Hirsch habe 
        im Dickicht verenden sehen.
 
  Nun 
        hatte er mit Mutters Hilfe das gute Wildbret für seine Familie geholt, 
        da er es alleine nicht hätte schaffen können. "Du bekommst jetzt Fleisch und eine kräftige Brühe, Anna", sagte er zu 
        seiner Frau, "und wirst wieder gesund!"
 Für Rudolf ist es schon wieder Zeit zur Arbeit zu gehen. "Schlaf noch 
        ein wenig, Anna", meint er beruhigend und geht hinaus.
 Die Fensterläden sind noch geschlossen und in der Dunkelheit kommen die 
        Albträume:
 Wenn es Tag ist, wird der Förster kommen. Mit dem Forstgehilfen und seinem 
        Hund wird er die Fährte des waidwunden Tieres aufnehmen und verfolgen. 
        Der frisch gefallene Schnee hat es nicht geschafft, die Schleifspur vom 
        Jagen 33 zu unserer Behausung zu verdecken. In seinem Zorn und mit der 
        Macht des erbarmungslosen Vorgesetzten wird er deinen Mann sofort fristlos 
        entlassen. Der Knecht wird den Hirsch abholen und es wird eine Zeit der 
        Not, Verzweiflung und Scham folgen. Du wirst dich aus dem Krankenlager 
        quälen müssen und dich die zwei Kilometer zum Forsthaus schleppen. Du 
        wirst dein Haupt neigen als ein tief ergebener Bittsteller, um die Wiedereinstellung 
        deines Mannes zu erflehen. Es wird lange dauern, bis du dich im Dorf wieder 
        wirst blicken lassen können".
 
 Ein Jahr später, 1923, werde ich in dieser Stube an deiner Brust liegen, 
        Anna, meine geliebte Mutter.
   | 
   
    |  Literadies |  | 
   
    | Kindheit in Hamburg von 
        Charlotte Brozzo
 Damals, 
        vor fast 70 Jahren gab es nur in wenigen Wohnungen Radiogeräte und wenn, 
        waren es solche mit Kopfhörern. Von Fernsehgeräten wusste keiner etwas, 
        außer vielleicht ein paar Technikern. Jedoch, womit füllten die Menschen 
        ihre geringe Freizeit?Langweilten 
        sie sich? Oh nein! Wenn für die Frauen keine Strümpfe mehr zu stopfen 
        und auch sonst keine Flickerei anstand, die Männer genug Feuerholz gehackt 
        und die vielen Kleinigkeiten in Haus und Hof erledigt hatten, wurde oft 
        gelesen (Leihbüchereien gab es in jeder Straße).
 Es 
        wurde auch gespielt: ´Mensch ärgere Dich nicht´, ´Mühle´, ´Dame´, ´Halma´ 
        oder Karten, wie ´66´ oder ´Buben anlegen´, eine Art ´Rommé´. Unter Schulkindern 
        auch 'Schiffe versenken' oder 'Stadt Land, Fluss'. Das aber hauptsächlich 
        in der dunklen Jahreszeit.
 Im Sommer spielten wir Kinder so lange wie möglich draußen auf dem Hof 
        oder auf der Straße: Kriegen, ´Dritten Abschlag,´ Abo Bibo´, ´Messersteck´, 
        ´Probe´, ´Eierlegen´(Ballspiel) usw. usw.
 Aber 
        es gab auch noch andere Unterhaltungen und von einer schreibe ich hier: 
        Die fünf Häuser auf unserem Hof standen wie moderne Reihenhäuser nebeneinander, 
        mit dem Unterschied, dass jedes Haus je eine Wohnung im Parterre und eine 
        im ersten Stock hatte.
 Die Parterrebewohner konnten aus ihrer Küchentür in einen kleinen Garten 
        gehen, wirklich sehr klein. Darin befand sich auch noch ein Schuppen, 
        auch 'Schauer' genannt für Kohlen, Holz und einige Gartengeräte.
 Einige 
        Bewohner besaßen dort zeitweise Kaninchen.
 Opa und Oma Wenck, die unter uns in Haus Nr. 5 wohnten, hatten sich einen 
        Hühnerstall für 4 oder 5 Hühner gebaut, dazu gab es einen Schauer 
        für Feuerung und Kisten als Schlafstätten und gelegentlich als Wochenbett 
        für die beiden Katzen. Nebenan noch eine Art Remise, wo der Blockwagen 
        stand.
  Im 
        Haus Nr.1, Parterre, wohnte Jan! Er hatte einen unaussprechlichen polnischen 
        oder russischen Nachnamen. Ständig trug er einen dunklen Anzug und 
        einen großen schwarzen Schlapphut. Sein Gesicht, soweit man etwas davon 
        sah, war hager, faltig mit einem traurig herabhängenden Schnauzbart. Er 
        lebte von der Wohlfahrt, heute Sozialamt. Er 
        wohnte zusammen mit Frau Clausen. Ob ihm oder ihr die Wohnung gehörte, 
        keiner wusste es. Frau Clausen sah man sommers und winters in einem dunkelgrauen 
        fußlangen Rock und einer grau und blau gestreiften Bluse. Im Winter hüllte 
        sie sich in ein großes schwarzes Umschlagtuch.
 Einen Henkelkorb trug sie immer bei sich, aber ob und was jemals darin 
        war - auch das wusste keiner. Ihr Haar war grau wie der Rock und zu einem 
        dürftigen Knoten aufgesteckt.Beider 
        Alter war unbestimmt. Heute schätze ich es mal auf etwa 50 Jahre. Unterwäsche 
        trug sie wahrscheinlich nicht, denn ab und zu war eine Rocknaht aufgeplatzt 
        und dann sah man nackte Haut.
 Jan 
        konnte sich immer dienstags sein Geld holen. Dann kam er oft erst gegen 
        Abend und meist angetrunken nach Hause Auf seinem Weg vom Torweg zum Haus 
        sang er schon in einer fremden Sprache. - Polnisch? Russisch? - und in 
        seinem Gärtchen sang er weiter. Manchmal tanzte er auch, Krakowiak oder 
        Mazurka. Woher wir das wussten? Wenn die Nachbarn ihn singend kommen hörten, 
        öffneten sie ihre Fenster, denn nun begann die Vorstellung:
 Nachdem 
        er eine Zeitlang gesungen und getanzt hatte, kam Frau Clausen aus der 
        Küchentür. Wahrscheinlich bat sie ihn, aufzuhören und ruhig hereinzukommen. 
        Aber das bekam ihr schlecht, denn nun gab's Ohrfeigen und Prügel. Polizei 
        holen? Keiner hatte Telefon im Haus und bis jemand zur Wache gelaufen 
        und einen Sipo mitgebracht hatte, war alles vorbei! Nachdem Frau Clausen 
        sich schimpfend und schreiend in die Küche geflüchtet hatte, tat Jan der 
        Ausbruch leid und er begann zu schluchzen und zu weinen.
 Dann sang er noch das eine oder andere traurige Lied, bat lauthals in 
        hartem Deutsch um Verzeihung und verschwand ebenfalls im Haus.
 Dieses 
        Spektakel fand nicht allwöchentlich statt und erregte auch längst nicht 
        immer die große Aufmerksamkeit, hat sich mir jedoch fest eingegraben.
 Von meiner Mutter wurde ich ermahnt, mich nicht an Streichen gegen diese 
        armen Menschen zu beteiligen, aber ich gehörte auch zu der Kinderhorde, 
        war also dabei, wenn auch manches Mal mit einem schlechten Gewissen.
 
 Heute gibt es diese Häuser nicht mehr. Der Bombenkrieg hat alles ausgelöscht. 
        Stattdessen ist die Straße eine vierspurige `Auto-Rennbahn´. Wo blieben 
        die Kinder? - - - Ja, Kinder sieht man dort nicht mehr.
   | 
   
    | Pfingstausflug 
        von Christa Renken  Das 
        Pfingstfest wurde in der Generation meiner Eltern immer besonders festlich 
        begangen. Meine Mutter erzählte mir oft, wie sich die Familie, Verwandte 
        und Freunde bereits in früher Morgenstunde zum gemeinsamen Pfingstausflug 
        trafen. Die Häuser in der Stadt und auf dem Lande waren mit zartgrünen 
        Birkenzweigen geschmückt. Das steigerte die Festtagsfreude. Die Jungen 
        empfanden es als besonderes Vergnügen, mit ihren Schmetterlingsnetzen 
        und Botanisiertrommeln den Schmetterlingen und Käfern nachzujagen. 
        Einer 
        der Höhepunkte war das gemeinsame Picknick. Mit der Klampfe, der Ziehharmonika und der Mundharmonika wurde musiziert 
        und dazu fröhlich gesungen. Nachmittags kehrte man in eine Landgaststätte 
        oder Waldschänke ein. Nach dem Motto "Hier können Familien 
        Kaffee kochen" wurden der "gute" oder Mischkaffee aufgebrüht 
        und Berge von Kuchen verzehrt. Abends kehrte man müde, aber in dem 
        Bewußtsein heim, daß es ein wunderschöner Tag gewesen 
        war.
 An 
        ähnliche fröhliche Pfingsttage meiner Jugend erinnere auch ich 
        mich. Das begann bereits mit der Vorfreude, wenn meine Mutter die Festtagskleidung 
        schneiderte. Mein Bruder bekam einen dunkelblauen oder weißen Matrosenanzug. 
        Für mich nähte meine Mutter duftige Voilè- bzw. Organdy-Kleider.
 Das 
        ungewöhnlich frühe Aufstehen am 1. Pfingsttag störte uns 
        nicht, weil wir in Erwartung des großen Ereignisses ohnehin sehr 
        zeitig aufwachten.
 Unser Ziel war eine Landgaststätte außerhalb der Stadt, die 
        wir mit der Bahn oder einem festlich geschmückten Lkw erreichten. 
        Für uns alle war es ein frohes Wiedersehen mit den Freunden meiner 
        Eltern und ihren Kindern. Unsere Ausgelassenheit war grenzenlos, wenn 
        wir auf den Spielgeräten im Garten herumturnen durften.
 Jedoch 
        das Pfingstkonzert war der Höhepunkt des Tages. Mein Vater dirigierte 
        die Blaskapelle, während mein Bruder ihn manchmal nachzuahmen versuchte. 
        Wir alle waren eine fröhliche Gesellschaft. Wenn ich zurückblicke, 
        freue ich mich heute noch über die unbeschwerten Pfingsttage in meiner 
        Kinder- und Jugendzeit.
 Der 2. 
        Weltkrieg hatte von uns allen viele Opfer verlangt. Pfingstkonzerte fanden 
        nicht mehr statt. Nach 
        dem Krieg wurde unsere Heimatstadt Magdeburg von Russen besetzt. Mein Vater wurde aus seiner Position entlassen und machte das Musizieren 
        zu seinem Hauptberuf. Er gründete eine Kapelle, die zu allen möglichen 
        Gelegenheiten spielte und dadurch die Menschen wieder etwas froher stimmte.
 1947 ließ mein Vater die alte Tradition wieder aufleben und gab 
        außerhalb der Stadt das erste Pfingstkonzert. Unsere Kleidung war 
        zwar nicht so aufwendig wie früher, aber wir konnten mit viel Phantasie 
        improvisieren. Die Hauptsache jedoch war das Konzert, zu dem viele Menschen 
        gekommen waren. Es gab manch rührendes Wiedersehen.
 Ein russischer Offizier, dem mein Vater Geigenunterricht erteilte, hatte 
        von dieser Veranstaltung erfahren. Zu unserer großen Überraschung 
        erschien er in Begleitung einiger Kameraden.
 Teils 
        aus Neugierde, teils aus Angst verstummten die Gäste. Erst als die Offiziere alle möglichen Lebensmittel aus ihrem Wagen 
        holten, um den Menschen mit der reichlichen Verpflegung eine Freude zu 
        bereiten, löste sich die Spannung.
 Der ungewohnte Überfluß an Nahrungsmitteln und auch Getränken 
        brachte die Stimmung auf den Höhepunkt. Niemand dachte wohl daran, 
        daß wir einmal Feinde gewesen waren. Die Musik hatte uns miteinander 
        verbunden, und wir konnten für einen Tag unseren Existenzkampf und 
        unsere Sorgen vergessen. Natürlich 
        hatten die Russen auch ihre Wünsche. Immer wieder wollten sie "Auf 
        der grünen Wiese", "Rosamunde" und vor allem "Alte 
        Kameraden" hören.
 Dieser Marsch durfte eigentlich nicht mehr gespielt werden. Erst als die 
        russischen Offiziere die Verantwortung dafür übernahmen, spielte 
        die Kapelle mit viel Schwung unter dem Beifall des Publikums und der freundlichen 
        Soldaten den Marsch.
  
 Leider 
        war diese fröhliche Veranstaltung nach dem Krieg das erste und letzte 
        Pfingstkonzert unter der Leitung meines Vaters. Bereits 1948, ein Jahr 
        später, mußten wir in den Westen flüchten. Unauslöschlich 
        aber sind die Erinnerungen.
 
 
 Bilder: 
        Literadies | 
   
    | 
        
 
  
 Thüringer 
          Wald - Fotograf:©Thomas R/Pixelio  | 
   
    |  Heimkehr 
        von 
        Brunhild Kollars   Mit müdem Schritt tritt ein Mann in abgerissener Kleidung aus dem 
        Hainichwald. Sein Gang schleppend,erschwert durch die klaffenden Sohlen 
        der Stiefel, der linke Arm in einer schmutzigen Binde, in der rechten 
        Hand einen Stecken zum Stützen. Der rötliche ungepflegte Bart 
        im ausgezehrten Gesicht läßt ihn älter erscheinen, als 
        er ist.
 Vor ihm liegt das Heimattal. Er bleibt stehen, schaut auf die drei im 
        Frühdunst liegenden Dörfer. Die sich wie Drillinge gleichenden 
        Kirchtürme werden von der kühlen Vorfrühlingssonne beschienen. 
        Kein erhabenes Gefühl steigt auf beim Anblick der nun fast erreichten 
        Heimat. Zuviel Entbehrungen liegen hinter ihm, zu groß der Hunger, 
        um erhabene Gefühle zu spüren. Der Kanten Brot von einer gutmütigen 
        Bäuerin ist längst verdaut, bohrender Schmerz in seinen Gedärmen 
        ein ständiger Begleiter. In einer Senke nicht weit vom Wege hört 
        er das Plätschern der Ouelle, des Lehde - Brunnen. Mühsam kniet 
        er nieder, trinkt das klare Wasser.
 Etwas erfrischt geht er weiter, riecht die Erdschollen der frischgepflügten 
        Felder, hellgrüne Wintersaat, jubelnde Lerchen steigen in die Luft, 
        fast will sich etwas Freude auf das Wiedersehen einstellen.
 Wie würden 
        ihn Eltern und Brüder empfangen? Seit er vor einigen Jahren mit einundzwanzig 
        als Jüngster der drei Brüder unter Napoleon nach Rußland 
        ziehen mußte, war jegliche Verbindung mit dem "Zu Hause" 
        unmöglich geworden. Keine Nachricht konnte ihn oder die Familie erreichen. 
        Nie würde er die Strapazen und Qualen des furchtbaren Rückzuges 
        im eisigen russischen Winter vergessen. Den Anschluss an die Kameraden durch seine Verwundung verloren, war er 
        gezwungen, sich noch ein ganzes Jahr durch das Land zu schlagen.
 Manchmal wurde er von barmherzigen Russen aufgenommen und versorgt.
 Kurz vor der preußischen Grenze wohnte er bis zu seiner Genesung 
        bei einer mütterlichen Frau, deren Sohn in dem Gemetzel des Krieges 
        umgekommen war. Sie wollte ihn bei sich behalten, ihn aber zog es mit 
        Macht nach Hause. Er schreckt aus seinen Gedanken auf.
 Bello springt ihm entgegen, kann sich nicht lassen vor Freude.
 Er steht im Hof des Elternhauses! Aus der Haustür kommt ihm eine 
        ihm unbekannte Frau entgegen, fragt barsch, mit unfreundlichem Blick, 
        wer er sei.
 Mit eiligem Schritt tritt die Mutter hinzu:"Du lebst!", sehr 
        bewegt, mit schwankender Stimme, "ich habe es immer gewußt!" 
        Sie reicht ihm die Hand, bittet die Schwiegertochter, etwas zu essen aufzutragen.
 " Wo ist der Vater?" fragt Konrad bang, nichts Gutes ahnend.
 "Vor einem Jahr gestorben", die knappe Antwort der Schwägerin 
        Anna.
 Inzwischen war Zacharias, der älteste Bruder vom Felde nach Hause 
        gekommen, schirrte die Pferde aus. Nun begrüßt er Konrad kurz 
        und unbewegt.
 "Wir haben nicht mehr mit deiner Heimkehr gerechnet, die anderen 
        Soldaten sind schon lange zu Hause, wenn sie nicht gestorben sind. Der 
        Hof gehört mir, das Land ist mit Johann geteilt, das ist beschlossen 
        und eingetragen, nichts mehr zu ändern."
 Konrad spürt, wie etwas in ihm zerbricht, was nie wieder heilen wird, 
        sehr weh tut. Er bringt kein Wort heraus, Nebel verdunkelt seine Augen, 
        eine noch nie erlebte Starre bemächtigte
 sich seiner. In seiner Familie wurde von jeher nur das Nötigste geredet, 
        Gefühle nie gezeigt. Verschlossenheit und Sprödigkeit ist ihm 
        bekannt. Doch so einen Empfang hat er nicht erwartet.
 
 Die Mutter sieht ihn traurig an, sagt nichts, darf wohl nichts sagen. 
        Das harte, arbeitsreiche Leben hat ihre Kräfte aufgezehrt. Sie ist 
        vielleicht nur noch geduldet. Abends kommt der mittlere Bruder Johann. 
        Auch er zeigt keine Freude über das Wiedersehen.
 Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit den Brüdern wird Konrad 
        schmerzlich bewußt, daß er bettelarm ist, nur noch seine Arbeitskraft 
        besitzt.Nach einigen Tagen geht er ins Nachbardorf Niederdorla, der Gutsherr 
        sucht einen Knecht. Konrad verdingt sich. Schon nach einem Jahr wird er 
        Verwalter. Ungeheurer Fleiß, Umsicht und Tüchtigkeit zeichnen 
        ihn aus. Er gönnt sich keine Ruhe, kein Vergnügen. Sein Blick 
        sei finster, zum Fürchten, sagen die Leute. Seine Seele ist gestorben.
 Nach 10 Jahren harter Arbeit kann er in der Nähe des Gutes ein Haus 
        erwerben, die junge blonde Susanna heimführen, die einige Morgen 
        Land als Mitgift bekommt. Sie ist ruhig, arbeitsam, verträglich, 
        schafft es sogar manchmal, seine Düsternis weichen zu lassen.
 Sein Elternhaus in Langula betritt er nie wieder. Sogar der Beerdigung 
        der Mutter bleibt er fern. Seine beiden Söhne, Jakob und Andreas, 
        haben viel von der Schwermut des Vaters geerbt.
 Er ist in hohem Alter, als der Tod ihn abruft.
 
 | 
   
    | Eine 
        "Photographie"aus dem Jahre 1866 in Merseburg
 Andreas 
        Heß, der Sohn von Konrad mit Dorothea Heß, seiner Frau.
 Das Kind ist Amalie Kohlhaus, geb. Heß,
 meine Großmutter (ca.1 Jahr alt).
 |  | 
   
    | Nach 
      der Beerdigung, die Söhne waren verheiratet, kamen wegen der Erbschaft 
      Feindseligkeiten zwischen den Brüdern auf. Amalie und Adolf, die Kinder 
      von Andreas und der liebevollen Dorothea wuchsen jedoch fröhlich heran. 
      Als sie selbst Familien gründeten, die ausgesprochen freundlich und 
      verträglich waren, und als sie ihre Kinder streng, aber voller Liebe 
      groß zogen, wich der böse Schatten, die Düsternis des Großvaters 
      von der Familie. 
 | 
   
    |  Nationalpark 
        Hainich - Fotograf: ©Jürgen Weingarten/Pixelio | 
   
    | Ergänzung 
        zum besseren Verständnis der Familiengeschichte:
 Amalie Heß, meine Großmutter, Enkelin von Konrad Heß, 
        heiratete Wilhelm Kohlhaus und führte mit ihm eine glückliche 
        Ehe. 1902 verkauften sie das Haus des Großvaters Konrad und zogen 
        in ein größeres mit Hof und schönem Garten.
 Im gleichen Jahr wurde Artur, mein Vater, als sechstes von acht Kindern 
        geboren.
 | 
   
    |  | nach 
      oben | 
   
    |  |