"Vom
Anschlag bis zum Abspann"
von Claus Günther
Gibt
ja Leute, die sind tonangebend. Dirigenten zum Beispiel. Auch Politiker
geben 'ne Welle an, unüberhörbar laut. Und - Modeschöpfer.
"Tonangebend in der Mode..."Andere geben anders an. Tennisspieler
beispielsweise.
Skatspieler sowieso. "Wer gibt an?" "Immer wer fragt."
"Nee nee, ich hab' eben.
Du gibst an." Da wechselt das wenigstens; mal gibt dieser an, mal
jener.
Dann gibt's noch die Verpetzer, die Denunzianten- die geben andere an.
Schließlich haben wir noch die Steuerhinterzieher, die sich gerade
deshalb strafbar machen, weil sie nicht alles angeben.
Auf den Packungsbeilagen hingegen, den Beipackzetteln, da ist praktisch
alles angegeben - sogar Krankheiten, die man ohne dieses Medikament nie
im Leben bekommen würde. So kommt eins zum andern.
Nicht zu vergessen: die Stars in den Medien, die öffentlich-rechtlichen
und privaten Angeber. Im Gefolge von Superstars aber ist die große
Heerschar jener, die gerne mal angeben würden, aber nie dazu kommen
- ob beim Film, beim Fernsehen, in der Presse oder beim Funk - na, da
wohl weniger, denn da sieht einen ja keiner. Mancher wäre ja schon
froh, wenn der eigene Name mal irgendwo auftauchen würde. In einer
Besetzungsliste (ha ha!), na ja, oder wenigstens im Abspann.
"Habt ihr gestern meinen Film gesehen? Ja, den mit Götz George.
In der einen Szene, wo er der alten Schlampe ein paar reinsemmelt, also
der da von links kommend durch das Bild rennt - ja, das bin ich. Habt
ihr nicht gesehen? Ich hab doch sogar noch flüchtig in die Kamera
gewunken! Hier, ich zeig's euch, ich hab mir gerade die DVD geholt, die
Szene habe ich selbst noch nicht gesehen...
Seht mal, jetzt kommt Götz von der Toilette - was? Nee, ohne Händewaschen,
hat der Mann doch gar keine Zeit für - und jetzt krallt er sich die
Mieze - nein, keine Katze, die Frau da, Mensch! - und plötzlich komme
ich von links - na? Nee. Moment, ich setze noch mal zurück. Da! Jetzt
geht die Tür auf! Nein, die geht nicht auf, Kruzitürken! Wieso
denn nicht?
Die ist doch sonst immer aufgegangen, die Szene hab ich sechsmal gesehen
am Set!
Scheiße - Entschuldigung: Die müssen das rausgeschnitten haben.
Diese Stümper! 
Dabei war das eine Schlüsselszene, sozusagen!
Ohne diese Sequenz ist der ganze Film nicht zu verstehen! Tut mir Leid,
Leute..."
Aber da ist ja noch der Abspann. Eine letzte Chance, den Namen zu lesen,
den eigenen Namen, und sei er noch so klein... Schon damit einem die Freunde
glauben!
Natürlich
auch, um das Gefühl zu haben, auf der Leinwand präsent zu sein,
im Film, im Fernsehen...
Und dann kommt der Abspann. Du sitzt vor der Glotze. Es ist der Augenblick,
auf den du die ganze Zeit gewartet, für den du gelebt und zwei Stunden
lang
diesen blöden Film ertragen hast! Was passiert? Die Fernsehfuzzis
schneiden den Abspann weg, bringen übergangslos die Vorschau auf
die neue Monsterserie, deren erste Folge du nicht verpassen darfst - !
Du bist erschlagen. Du könntest schreien - ja, schrei nur!
Du weißt ja nicht, was dir erspart geblieben ist: Dein Name wäre
sowieso nicht erschienen.
Da stand nur: u.v.a. - "und viele andere". Ich bin maßlos
enttäuscht.
Glauben Sie mir: Ohne uns so genannte Kleindarsteller läuft die ganze
Chose nicht! Wir sind praktisch der wichtigste Wirtschaftsfaktor! Was
sollen die denn sonst rausschneiden, hinterher? Eben. Ach, hätte
ich doch nur etwas zu sagen, ein ganz klein wenig Einfluss!
Mein Name stünde an erster Stelle! Einmal wenigstens!
Riesengroß - noch vor Götz George!
Na
ja, oder wenigstens direkt daneben. Man wird doch noch mal träumen
dürfen...
Er würde das verstehen, von Mensch zu Mensch, von Schauspieler zu
Schauspieler.
Ich muss mal mit Götz reden. Gleich morgen. Oder beim nächsten
Film, falls ich wieder dabei bin. Wird nicht ganz leicht sein für
Götz. 
Für mich allerdings auch nicht.
Anders wär's, wenn es gerecht zuginge auf der Welt und die Filme
bis ins Detail anständig beendigt werden würden, so wie früher!
Dann würde ich nächstes Mal am Set einfach sagen: Hallo, guten
Tag, mein Lieber! (Ich weiß gar nicht mehr, ob wir uns duzen.) Wir
kennen uns ja vom Film. Man hat mich im Abspann genannt...
Notwendig,
modisch, schlüpfrig
von Edgar Brinkmann
"Kauf
dir endlich vernünftige, die praktisch sind und sitzen, und wenn's
Kalvin Klein ist, dann kosten sie eben", sagte meine Frau. Klar,
es geht ihr um die Unterhosen, und mir ist nicht wohl dabei, so viel Geld
dafür ausgeben zu müssen und begebe mich in den hiesigen Kaufhof
und frage die Frau an der Kasse nach der Abteilung für Herrenunterwäsche.
"Direkt
hinter Ihnen", sagt sie. Ich gehe herum und sehe, alle Unterhosen
taugen nichts, und Kalvin Klein suche ich vergebens. Ich frage danach,
und die Frau, etwa fünfzig, sehr gepflegt und anziehend, sagt, Kalvin
Klein hätten sie nicht. Meiner Behauptung, Kalvin Klein Unterhosen
hätte ich hier vor Jahren gekauft, begegnet sie mit den Worten: "Haben
wir nie geführt." Warum es denn Kalvin Klein sein müsse?
Weil alle anderen nicht sitzen." "Das gibt es nicht", sagt
sie, geht mit mir schnurstracks auf eine Batterie Unterhosen zu und bleibt
vor solchen stehen, die wohl mancher und manchem ein wohlgefälliger
Anblick sein mögen: Slips auf den Packungen abgebildet mit bauschendem,
wohlgeordnetem Gemächt.
Die
seien von vorzüglicher Qualität, trügen sich auf der Haut
wie Watte, erklärt
sie.
Und ich erkläre, sie müssten Bein haben, diese sähen zwar
bewundernswert aus, doch nach ein paarmal gewaschen würden sie labberig.
"Also
mit Bein soll es sein", und sie geht mit mir zu denen von Schiesser.
Tatsächlich
sieht man auf der Packung, die sie hervorzieht, vertrauenerweckendes Bein.
Ich sage, auf der Packung könnten sie sonst was zeigen, ich müsse
sie sehen. Sie zieht die Unterhose heraus und hält sie mir hin, als
sollte ich hineinsteigen. Und in der Tat: Das Bein ist fast gar keins,
gerade mal ein Zentimeter und nicht circa deren fünf, wie auf der
Abbildung vorgetäuscht. Und die Frau, mich unschlüssig sehend,
sagt, ich könne sie auch anprobieren, wenn ich wolle. Ich denke:
Können die das machen? Was wissen die, wie ich es mit der Reinlichkeit
halte? und sage: "Anprobieren nützt nichts. Man muss sie zwei
Tage..."

Nein, heutigentags schickt es sich nicht, Unterhosen zwei Tage anzuhaben
und korrigiere mich: "Also, bei dieser Machart, einen Tag getragen
und dieses Minibein da krüllt sich, ribbelt auf, nein, ribbelt natürlich
nicht, kriecht vielmehr hoch." Und füge platterdings hinzu,
da ich längst bemerkt habe, mit der Frau lässt sich reden, sie
müsse verstehen, alles hinge dann daneben. Ich sehe nicht, was ihr
Gesichtsausdruck dazu sagt, aber anscheinend nimmt sie's cool. Natürlich,
eine fünfzigjährige Frau ist kein Teenie, und sie behauptet:
"Bei dieser nicht."
Dreist
frage ich, eigentlich mehr des Amüsements wegen, woher sie das wisse?
Die Frau lächelt halb amüsiert, halb überlegen und antwortet,
ihr Freund habe damit keine Probleme, es sei eben gute Qualität,
und es klingt überzeugend, und ich nehme sie, nachdem ich noch den
kleinen Scherz angebracht habe, vonwegen im Falle des nicht ordentlichen
Sitzes sähe ich sie morgen wieder, was mich außerordentlich
freuen würde.
Und
komme damit zu meiner Frau. Die zieht sie hervor und hält sie mir
unter die Nase: "Da, die hat keinen Eingriff!" Sie hatte schon
einmal aus Versehen Unterhosen ohne für mich gekauft. "Nur Pillefitt",
sagt sie, "nichts Praktisches, nichts Gescheites, heutzutage nur
modischer Schnickschnack." So bin ich wenige Minuten später
wieder bei der adretten Verkäuferin, die mich erstaunt ansieht, freundlich
und entgegenkommend. Als ich sage, so leicht werde sie mich nicht los,
sie werde von mir schwierigem Kunden noch träumen, antwortet sie,
das werde sie nicht, sie sei zwanzig Jahre in diesem Geschäft. Was
denn nun mit der Unterhose sei?
"Sie hat keinen Eingriff!" sage ich triumphierend. "Keinen
Eingriff", wiederholt sie, zieht den Schlüssel aus ihrer Kasse
und ist mit mir schnellen Schrittes unterwegs zu den nächsten Männerunterhosen.
"Ein Eingriff", sagt sie, "das ist nicht mehr modern."
Nun erscheint es mir notwendig, anzuführen, es habe sicher damit
zu tun, dass jetzt auch wir Männer uns setzten; im Prinzip hätte
ich nichts dagegen; trotzdem... Und da zeigt sie mir Boxershorts. Im Prinzip
seien die richtig, sage ich, aber leider farbig und mit allen möglichen
bescheuerten Sprüchen, und ich wolle weiße, und frage: "Gibt
es denn kein Feinripp mehr und mit Bein?" "Natürlich gibt
es Feinripp, weiß, mit Bein und auch mit Eingriff." Und wirklich
holt sie aus dem oberen Fach eines Regals - sie muss sich gehörig
recken - solche herunter. Und sie haben Bein, ein bisschen knapp zwar,
aber Bein und, die würden sitzen, beteuert sie. Fast spontan bin
ich bereit, sie zu nehmen, da sagt sie: "Der Eingriff ist allerdings
von oben." Von oben? Was ich so schnell gar nicht gesehen habe, man
greift von oben hinein, vier oder fünf Zentimeter unterhalb des Bunds,
sieht ein bisschen aus wie bei einem Känguruh, und ich muss lachen
und stelle mir vor, wie ich das Notwendige nach oben ans Tageslicht befördere
und kann den Unsinn nicht begreifen und sage, das sei fast dasselbe, als
wäre sie ohne. 
Und da mir scheint, dass die Frau für meinen Einwand Verständnis
hat, resümiere
ich, also dass das bei uns ja manchmal schnell gehen müsse... während
sie, die Frauen, es dagegen sowieso leichter hätten, die sie das
Hindernis überwänden, indem sie es einfach
beiseiteschöben; aber dieser Kühnheit erkühne ich mich
nicht mehr, auch hält sie mir plötzlich eine Unterhose in Feinripp
und mit wirklich langem Bein hin, die, wäre sie nicht mit seitlichem
Eingriff, aussieht wie ein sogenannter Liebestöter, also wie ein
Weiberwinterbaumwollschlüpfer, zu warm für den Sommer, und zu
groß erscheint sie mir auch, und ich nehme sie.
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