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Was es so alles gibt
auf unserer schönen Erde!

 

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Foto:Literadies

     

Sprachschwierigkeiten Nachdenkliches von Ernst Broers


Großvater werden ist nicht schwer, Großvater sein ...
Ich fragte mich vor Kurzem zum Beispiel, was die Kinder heute in der Schule lernen. Da kommt doch neulich mein Enkel und fragt: "Opa, anti bedeutet doch dagegen oder das Gegenteil von, irgendwas'' ?
"Ja, mein Junge, da hast Du recht."
"Und was ist eine Gone? Opa." ?
"Eine was?"
"Eine Gone!''
"Wo hast Du das denn her?"
"Aus'm Lexikon."
"Na, wenn das im Lexikon steht, dann steht da auch, was es ist."
"Nee, Opa, steht da aber nicht! Da steht nur das Gegenteil davon, und wenn es von was das Gegenteil gibt, dann muß es auch das Teil geben!
" Ja, da hat der Junge recht, das ist logisch gedacht, trotzdem bin ich erst einmal ratlos.
Ich frage also: "So, das Gegenteil von einer Gone hast Du im Lexikon gefunden,
und was steht da?"
"Da steht Anti-gone. So 'ne griechische Sagengestalt."
Mir dämmert es: "Du, im griechischen wird das nicht wie Anti-gone, sondern Antiigonee ausgesprochen. Und zu der Sagengestalt gibt es kein Gegenteil."
"Aha, danke, Opa!" Zufrieden zieht der Kleine ab. Aber das dicke Ende kommt ein paar Tage später. Die Klasse war im Zoo und stolz erzählt mein Enkel davon:
". . . und dann war da eine ganz kleine Antiilopee . . ."

Ein gutes Gedächtniss hat der Junge ja und logisch denken kann er auch, aber mit dem Lesen . . Oder liegt das gar nicht am Jungen, liegt das viel mehr an unserer Schrift, komme ich in's Grübeln. Wie soll er erkennen, wann ein Buchstabe kurz und wann er lang ausgesprochen wird? Hier, ihr, wir - immer eine andere Schreibweise für den selben Laut. Woran erkennt man, wann eine Silbe betont wird und wann nicht?" Wenn man also einmal genauer hinsieht, merkt man: So vollkommen ist unsere Schrift gar nicht. Und wie vollkommen ist unsere Sprache?
Was ein Wort bedeutet, wird doch erst durch den Zusammenhang im Satz deutlich.
Zum Beispiel das Wort "gar" bedeutet im Zusammenhang mit dem Wort "nicht" etwas anderes, als im Zusammenhang mit Kochen.

Und wie ist das mit dem Wort "EINLAUFEN" oder "EINGELAUFEN"? Wenn Strümpfe einlaufen, werden sie kleiner, Schuhe dagegen größer, bequemer. Wenn ein Schiff eingelaufen ist, hat es seine Größe nicht verändert, sondern liegt im Hafen. Und wenn eine Maschine eingelaufen ist, liegt sie hoffentlich nicht im Hafen, sondern läuft gut. Mit Logik hat das wenig zu tun.
Und wie logisch ist die folgende Regel: Der Läufer läuft, der Säufer säuft, aber der Käufer kauft? Ja, den Kindern wird beim Sprechen lernen und Sprache verstehen schon allerlei zugemutet. Und den Ausländern auch. Aber die haben in ihrer Sprache ebensolche Stolpersteine. Das weiß jeder, der eine fremde Sprache erst nach seiner Kindheit erlernen wollte, mußte. Als kleines Kind merkt man das offenbar kaum. Und da sagen die Ausländer: Deutsche Sprache, schwere Sprache.

Bismarck wird folgende Anekdote zugeschrieben: Ein Diplomat beschwert sich: "In Deutsche Sprache immer zwei Worte für eine Sache. Schlimm!"
"Herr Gesandter, würden Sie mir ein paar Beispiele nennen?" -
"Ja. Hüpfen und springen, gehen und laufen, senden und schicken."
"Danke! Sehen Sie: Eine Tasse kann nicht hüpfen, aber sie kann springen. Und ist eine Tasse gesprungen, dann kann sie laufen, aber nicht gehen. Und Sie sind ein Gesandter, aber kein geschickter!"
Wie gut, dass der Herr der Deutschen Sprache nicht in allen Feinheiten mächtig war, er wäre sonst sicher beleidigt gewesen. Und der Satz: "Die Kinder rasen über den Rasen und die am schnellsten rasten, rasten jetzt auf einer Bank" ist doch auch herrlich. Wo ist der Unterschied in der Schreibweise zwischen "rasten" und "rasten"? Ich finde keinen, aber die Wörter werden unterschiedlich ausgesprochen und haben gegensätzliche Bedeutungen.
Was alles beim Übersetzen von einer Sprache in eine andere berücksichtigt werden muß, das haben die Informatiker erfahren, als sie ein Übersetzungsprogramm entwickelten.
Noch so ein schönes Wort. Es ist doch ein Unterschied, ob ich ein Programm entwickele oder eine Mumie.


 

 

 

Der Globetrotter

Ich reiste querbeet durch die Welt,
es kostete mich Nerven, Geld,
Hotels vermeinten, ich sei reich,
hart war'n die Eier, Brötchen weich,
die Autobahnen zugestaut,
zwei Koffer wurden mir geklaut.

Man klemmte in so mancher Stadt
mir Knöllchen unters Wischerblatt.
Beim Crash an Frankreichs Côte d'Azur

verlor ich eine Autotür.



Das Wetter war nur selten toll,
mein Schmuggelgut behielt der Zoll,
und aus der Ferne heimgekehrt,
war mir die Heimat doppelt wert.

Robert Mahler

     

Neulich, im Restaurant der Essigfabrik

von Claus Günther

Im Restaurant der Essigfabrik sitzen die "Leitenden".
Am Zweiertisch, hinten rechts, thront Dr. Körner von der Produktion. Vertriebsdirektor Müller gesellt sich hinzu. Beide blicken angemessen griesgrämig - wie immer.


Müller: Mahlzeit, Doktor Körner. Na, was werden Sie heute essen?
Dr. Körner: Sauerbraten, Kollege Müller. Mahlzeit. Und Sie?
Müller: Saure Suppe, denke ich. Groß ist die Auswahl ja nicht.
Dr. Körner:
Hauptsache, sauer. Ganz im Sinne unserer Firma.
Müller: Tag für Tag, Sie sagen es. Gestern hatte ich Sauerbraten mit saurer Sahne. Morgen gibt es Sauerkraut, und als Nachtisch Sauerkirschen.
Dr. Körner: Mit Essig?
Müller: Essig? Sauerkirschen mit Essig? Eigentlich wohl eher nicht.
Dr. Körner: Das ist aber schlecht für den Umsatz.
Müller: In der Tat. Ich werde wohl Sauerbier dazu trinken, mit einem Schuss Weinessig. Zum Heulen! Aber unsereins muss ja Vorbild sein.
Dr. Körner: Völlig richtig. Allerdings - ob das jetzt noch was nützt? (vertraulich) Sie kennen doch die neue Sekretärin unseres Vorstandsvorsitzenden - ?
Müller: Das Fräulein Sauer? Natürlich! Die ist immer so ekelhaft nett in letzter Zeit.
Dr. Körner: Das ist es ja, mein Bester! Zuerst haben wir alle gedacht, sie wäre genau die Richtige für den Alten -
Müller: Zumal sie auch so sauertöpfisch dreinblickte -
Dr. Körner: - und: aus dem Sauerland stammt! Aber inzwischen hat sie sich in den Chef verliebt, und er sich in sie. Seitdem hat unser Essig so ein süßliches Hautgout.
Müller: Igittigitt! Das ist ja - ! Jetzt wird mir alles klar. Deswegen hat der Alte mich neulich angelächelt und gesagt, ich solle nicht so sauer dreinblicken! Das ist ja überhaupt nicht seine Art. Wenn das Schule macht, verdirbt es das ganze Betriebsklima!
Dr. Körner: Um Himmels willen! Dabei hat der Alte doch ständig gepredigt, wir sollten saure Miene zum guten Spiel machen, das käme der Essigqualität zugute.
Müller: Eben. So gesehen, war er bislang immer ein leuchtendes Beispiel für uns alle, mit seinen Sauer-eien. Nicht nur, dass er fortwährend sauer war auf die gesamte Belegschaft, auf seine Familie und seine Freunde, nein, er war ja auch überaus sauer auf sich selbst!
Dr. Körner: Wenn ich ihn ansah, musste ich an essigsaure Tonerde denken.
Müller: Er leidet ja permanent unter zu viel Magensäure.
Dr. Körner: Die Folge seiner selbstlosen Art, Opfer zu bringen! Er nascht doch am Essig, wo er ihn findet, von morgens bis abends. Das hat ihn und seine Firma, hat uns alle großgemacht. Sein Fernziel war die absolute, staatlich geförderte Säuernis. Und jetzt?
Müller: Doktor Körner! Frage an Sie als Wissenschaftler: Meinen Sie, er ist - äh -
Dr. Körner: Ja, Kollege Müller?
Müller: (halblaut) Essig-süchtig?
Dr. Körner: Ach i wo! Sonst wäre er bestimmt nicht mit dem Fräulein Sauer - äh -
Müller: (lacht) Hehehe! Sauer macht lustig!
Dr. Körner: Spotten Sie nur, statt sauer zu sein. Es geht um unsere Existenz, Herr Müller!
Müller: (erschrocken) Sie haben ja Recht. Entschuldigung!
Dr. Körner: Wissen Sie, was der Alte von mir verlangt? Ich soll unserem Weinessig - Lachgas hinzufügen! Allen Ernstes! Damit die Verbraucher fröhlicher werden!
Müller: Wie bitte? Also da bin ich aber - bin ich aber echt sauer, ehrlich!
Dr. Körner: Bravo! Wir können gar nicht sauer genug sein, wir und die Belegschaft. Sonst ist es nämlich Essig mit dem Essig. Dann heißt es womöglich, Süßholz raspeln für den Chef!

 

Fußballweltmeisterschaft 1998


Der Ball ist rund Satire von Martin Ripp


Alle vier Jahre findet die Fußballweltmeisterschaft statt. Das ist schon etwas Besonderes, nicht nur für Fans. Selbst meine Frau, die oft eingeschnappt ist, wenn ich die Bundesligaspiele verfolge und damit die anderen Programme blockiere, schreit dann bei jedem Tor der deutschen Mannschaft so laut, daß unser Kanarienvogel vor Schreck von der Stange fällt.
Mir ist das schon zu viel! Zwei Spiele am Tag zu ertragen und wenn sie dann noch langweilig sind, ist eine echte Herausforderung für meine Augenlider!
Und dann noch die Vor- und Nachberichte, Zeitlupenstudien und die Analysen von längst vergessen geglaubten Fußballstars oder von Dieter Kürten und Kalli Feldkamp, den grauhaarigen Zwillingen. Meine Frau läßt sich einfach nichts entgehen! Nur wenn sie zwangsläufig mal raus muß, wage ich auf einen anderen Kanal umzuschalten.
Nun sitzen wir wieder davor und kurz nach der Halbzeit sagt sie unzufrieden: "Wir hätten doch schon längst führen müssen!"
"Wir? Spielen wir denn mit?" frage ich lachend.
"Sei doch nicht so kleinlich! Du weißt schon, wie ich das meine!"

Und dann kommt in der 47. Minute das 0:1!
"Nein!" ruft meine Frau. "Das war doch 'Abseits'!"
"Das war ein astreines Tor", sage ich emotionslos. "Du bist wohl für die anderen!" bemerkt sie schnippisch.
"Und was verstehst du schon von 'Abseits'?" kontere ich.
"Das konnte in einer Sportschau noch nicht mal Vogts` Vorgänger richtig erklären!"
"Das ist ja lächerlich! Der 'Kaiser' weiß ganz genau, was 'Abseits' ist!"
"Welcher Kaiser?"
"Na Franz!"
"Du meinst Franz-Joseph", frage ich provozierend.
"Du weißt ganz genau, wen ich meine!" ist ihre forsche Antwort. "Franz Beckenbauer, den alle nur den 'Kaiser' nennen!"
"Ich aber nicht!" bestreite ich energisch.
"Nein, daß weiß ich! Du findest 'Berti' besser!"
"Der Mann heißt Hans-Hubert!"
"Für mich heißt er so lange 'Berti', wie er sich von der 'Bild-Zeitung' die Mannschaftsaufstellung diktieren läßt! Das hätte sie bei dem 'Kaiser' nie gewagt!"
"Die 'Blöd-Zeitung' hat ja nur berichtet, daß die Mehrheit der Fußballfans Lothar Matthäus spielen sehen will! Jetzt haben sie die Quittung dafür, wenn man einen alten Mann aufstellt!"
"Einen alten Mann? Mit 37 Jahren? - Was soll man denn zu dir sagen? Etwa---"
"Halt dich zurück!" unterbreche ich sie.
"Warum? Ich wollte doch nur sagen: 'etwa uralt'?"
"Ich habe genau beobachtet, wie deine Lippen ein 'G' formten!"
"Ein 'G' ?" wiederholt sie verständnislos.
"Ja, gib es zu! Du wolltest 'Grufti' zu mir sagen!"
Klinsmann hat ausgeglichen. Der Torschrei meiner Frau hallt durchs Zimmer. Unser Kanarienvogel fällt von der Stange.
Enthusiastisch ergänzt sie: "Ich hab`s gleich gesagt, der Möller muß rein!"
"Möller?" frage ich nach. "Was hat dieses 'Weichei' bisher schon bewirkt?"
Meine Frau verzichtet auf eine Antwort und verläßt den Raum. Ich höre das Wasser rauschen und schalte auf RTL. Die strahlen aber gerade einen Werbeblock aus. "Das darf doch nicht wahr sein!" sage ich zu mir selbst.
Der von einem bestimmten Handy telefonierende und dabei mit Füßen,
Knien und Kopf zaubernde Ballkünstler ist Franz Beckenbauer! Ich laß ihn nur noch sagen: "Schau`n mer mal!" und hole das Fußballspiel auf die Mattscheibe zurück.

Meine Frau kommt lächelnd herein und setzt sich entspannt wieder neben mich. "Sepp Herberger hat immer während eines Turniers gesagt:
'Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!'"
"Der Mann war ja auch intelligent, was man nicht von allen Trainern behaupten kann. Beckenbauer hat eben in der Werbung gesagt: 'Der Ball ist rund!'"
"Tor!" brüllt meine Frau. Bierhoff hat zum 2:1 eingeköpft.
Unser Vogel mußte es geahnt haben, er war auf dem Käfigboden sitzen geblieben.
Und nach dem Abpfiff reißt sie sofort die Arme hoch und ruft: "Wir haben gewonnen! Jetzt werden wir auch noch Weltmeister, wie der 'Kaiser' vorausgesagt hat!"
Sie bemerkt das Kopfschütteln und den zornigen Gesichtsausdruck und fragt: "Was ist los mit dir? Freu`dich doch auch! Wir haben gewonnen!" wiederholt sie.

"Ich nicht!" widerspreche ich wütend. "Und du hast gewonnen, wenn du noch einmal 'der Kaiser' sagst. Dann lasse ich mich nämlich scheiden!"

"Ball im Tor"Fotograf: Karin Schmidt/Pixelio

 

 

"Vom Anschlag bis zum Abspann"

von Claus Günther


Gibt ja Leute, die sind tonangebend. Dirigenten zum Beispiel. Auch Politiker geben 'ne Welle an, unüberhörbar laut. Und - Modeschöpfer. "Tonangebend in der Mode..."Andere geben anders an. Tennisspieler beispielsweise.
Skatspieler sowieso. "Wer gibt an?" "Immer wer fragt." "Nee nee, ich hab' eben.
Du gibst an." Da wechselt das wenigstens; mal gibt dieser an, mal jener.
Dann gibt's noch die Verpetzer, die Denunzianten- die geben andere an.
Schließlich haben wir noch die Steuerhinterzieher, die sich gerade deshalb strafbar machen, weil sie nicht alles angeben.
Auf den Packungsbeilagen hingegen, den Beipackzetteln, da ist praktisch alles angegeben - sogar Krankheiten, die man ohne dieses Medikament nie im Leben bekommen würde. So kommt eins zum andern.

Nicht zu vergessen: die Stars in den Medien, die öffentlich-rechtlichen und privaten Angeber. Im Gefolge von Superstars aber ist die große Heerschar jener, die gerne mal angeben würden, aber nie dazu kommen - ob beim Film, beim Fernsehen, in der Presse oder beim Funk - na, da wohl weniger, denn da sieht einen ja keiner. Mancher wäre ja schon froh, wenn der eigene Name mal irgendwo auftauchen würde. In einer Besetzungsliste (ha ha!), na ja, oder wenigstens im Abspann.
"Habt ihr gestern meinen Film gesehen? Ja, den mit Götz George. In der einen Szene, wo er der alten Schlampe ein paar reinsemmelt, also der da von links kommend durch das Bild rennt - ja, das bin ich. Habt ihr nicht gesehen? Ich hab doch sogar noch flüchtig in die Kamera gewunken! Hier, ich zeig's euch, ich hab mir gerade die DVD geholt, die Szene habe ich selbst noch nicht gesehen...
Seht mal, jetzt kommt Götz von der Toilette - was? Nee, ohne Händewaschen, hat der Mann doch gar keine Zeit für - und jetzt krallt er sich die Mieze - nein, keine Katze, die Frau da, Mensch! - und plötzlich komme ich von links - na? Nee. Moment, ich setze noch mal zurück. Da! Jetzt geht die Tür auf! Nein, die geht nicht auf, Kruzitürken! Wieso denn nicht?
Die ist doch sonst immer aufgegangen, die Szene hab ich sechsmal gesehen am Set!
Scheiße - Entschuldigung: Die müssen das rausgeschnitten haben. Diese Stümper!
Dabei war das eine Schlüsselszene, sozusagen!
Ohne diese Sequenz ist der ganze Film nicht zu verstehen! Tut mir Leid, Leute..."
Aber da ist ja noch der Abspann. Eine letzte Chance, den Namen zu lesen, den eigenen Namen, und sei er noch so klein... Schon damit einem die Freunde glauben!
Natürlich auch, um das Gefühl zu haben, auf der Leinwand präsent zu sein, im Film, im Fernsehen...
Und dann kommt der Abspann. Du sitzt vor der Glotze. Es ist der Augenblick,
auf den du die ganze Zeit gewartet, für den du gelebt und zwei Stunden lang
diesen blöden Film ertragen hast! Was passiert? Die Fernsehfuzzis schneiden den Abspann weg, bringen übergangslos die Vorschau auf die neue Monsterserie, deren erste Folge du nicht verpassen darfst - !
Du bist erschlagen. Du könntest schreien - ja, schrei nur!
Du weißt ja nicht, was dir erspart geblieben ist: Dein Name wäre sowieso nicht erschienen.
Da stand nur: u.v.a. - "und viele andere". Ich bin maßlos enttäuscht.
Glauben Sie mir: Ohne uns so genannte Kleindarsteller läuft die ganze Chose nicht! Wir sind praktisch der wichtigste Wirtschaftsfaktor! Was sollen die denn sonst rausschneiden, hinterher? Eben. Ach, hätte ich doch nur etwas zu sagen, ein ganz klein wenig Einfluss!

Mein Name stünde an erster Stelle! Einmal wenigstens!
Riesengroß - noch vor Götz George!
Na ja, oder wenigstens direkt daneben. Man wird doch noch mal träumen dürfen...
Er würde das verstehen, von Mensch zu Mensch, von Schauspieler zu Schauspieler.
Ich muss mal mit Götz reden. Gleich morgen. Oder beim nächsten Film, falls ich wieder dabei bin. Wird nicht ganz leicht sein für Götz.
Für mich allerdings auch nicht.
Anders wär's, wenn es gerecht zuginge auf der Welt und die Filme bis ins Detail anständig beendigt werden würden, so wie früher! Dann würde ich nächstes Mal am Set einfach sagen: Hallo, guten Tag, mein Lieber! (Ich weiß gar nicht mehr, ob wir uns duzen.) Wir kennen uns ja vom Film. Man hat mich im Abspann genannt...

 


 

Notwendig, modisch, schlüpfrig von Edgar Brinkmann


"Kauf dir endlich vernünftige, die praktisch sind und sitzen, und wenn's Kalvin Klein ist, dann kosten sie eben", sagte meine Frau. Klar, es geht ihr um die Unterhosen, und mir ist nicht wohl dabei, so viel Geld dafür ausgeben zu müssen und begebe mich in den hiesigen Kaufhof und frage die Frau an der Kasse nach der Abteilung für Herrenunterwäsche.
"Direkt hinter Ihnen", sagt sie. Ich gehe herum und sehe, alle Unterhosen taugen nichts, und Kalvin Klein suche ich vergebens. Ich frage danach, und die Frau, etwa fünfzig, sehr gepflegt und anziehend, sagt, Kalvin Klein hätten sie nicht. Meiner Behauptung, Kalvin Klein Unterhosen hätte ich hier vor Jahren gekauft, begegnet sie mit den Worten: "Haben wir nie geführt." Warum es denn Kalvin Klein sein müsse? Weil alle anderen nicht sitzen." "Das gibt es nicht", sagt sie, geht mit mir schnurstracks auf eine Batterie Unterhosen zu und bleibt vor solchen stehen, die wohl mancher und manchem ein wohlgefälliger Anblick sein mögen: Slips auf den Packungen abgebildet mit bauschendem, wohlgeordnetem Gemächt.
Die seien von vorzüglicher Qualität, trügen sich auf der Haut wie Watte, erklärt sie.
Und ich erkläre, sie müssten Bein haben, diese sähen zwar bewundernswert aus, doch nach ein paarmal gewaschen würden sie labberig.
"Also mit Bein soll es sein", und sie geht mit mir zu denen von Schiesser. Tatsächlich sieht man auf der Packung, die sie hervorzieht, vertrauenerweckendes Bein. Ich sage, auf der Packung könnten sie sonst was zeigen, ich müsse sie sehen. Sie zieht die Unterhose heraus und hält sie mir hin, als sollte ich hineinsteigen. Und in der Tat: Das Bein ist fast gar keins, gerade mal ein Zentimeter und nicht circa deren fünf, wie auf der Abbildung vorgetäuscht. Und die Frau, mich unschlüssig sehend, sagt, ich könne sie auch anprobieren, wenn ich wolle. Ich denke: Können die das machen? Was wissen die, wie ich es mit der Reinlichkeit halte? und sage: "Anprobieren nützt nichts. Man muss sie zwei Tage..."
Nein, heutigentags schickt es sich nicht, Unterhosen zwei Tage anzuhaben und korrigiere mich: "Also, bei dieser Machart, einen Tag getragen und dieses Minibein da krüllt sich, ribbelt auf, nein, ribbelt natürlich nicht, kriecht vielmehr hoch." Und füge platterdings hinzu, da ich längst bemerkt habe, mit der Frau lässt sich reden, sie müsse verstehen, alles hinge dann daneben. Ich sehe nicht, was ihr Gesichtsausdruck dazu sagt, aber anscheinend nimmt sie's cool. Natürlich, eine fünfzigjährige Frau ist kein Teenie, und sie behauptet: "Bei dieser nicht."

Dreist frage ich, eigentlich mehr des Amüsements wegen, woher sie das wisse? Die Frau lächelt halb amüsiert, halb überlegen und antwortet, ihr Freund habe damit keine Probleme, es sei eben gute Qualität, und es klingt überzeugend, und ich nehme sie, nachdem ich noch den kleinen Scherz angebracht habe, vonwegen im Falle des nicht ordentlichen Sitzes sähe ich sie morgen wieder, was mich außerordentlich freuen würde.
Und komme damit zu meiner Frau. Die zieht sie hervor und hält sie mir unter die Nase: "Da, die hat keinen Eingriff!" Sie hatte schon einmal aus Versehen Unterhosen ohne für mich gekauft. "Nur Pillefitt", sagt sie, "nichts Praktisches, nichts Gescheites, heutzutage nur modischer Schnickschnack." So bin ich wenige Minuten später wieder bei der adretten Verkäuferin, die mich erstaunt ansieht, freundlich und entgegenkommend. Als ich sage, so leicht werde sie mich nicht los, sie werde von mir schwierigem Kunden noch träumen, antwortet sie, das werde sie nicht, sie sei zwanzig Jahre in diesem Geschäft. Was denn nun mit der Unterhose sei?
"Sie hat keinen Eingriff!" sage ich triumphierend. "Keinen Eingriff", wiederholt sie, zieht den Schlüssel aus ihrer Kasse und ist mit mir schnellen Schrittes unterwegs zu den nächsten
Männerunterhosen. "Ein Eingriff", sagt sie, "das ist nicht mehr modern." Nun erscheint es mir notwendig, anzuführen, es habe sicher damit zu tun, dass jetzt auch wir Männer uns setzten; im Prinzip hätte ich nichts dagegen; trotzdem... Und da zeigt sie mir Boxershorts. Im Prinzip seien die richtig, sage ich, aber leider farbig und mit allen möglichen bescheuerten Sprüchen, und ich wolle weiße, und frage: "Gibt es denn kein Feinripp mehr und mit Bein?" "Natürlich gibt es Feinripp, weiß, mit Bein und auch mit Eingriff." Und wirklich holt sie aus dem oberen Fach eines Regals - sie muss sich gehörig recken - solche herunter. Und sie haben Bein, ein bisschen knapp zwar, aber Bein und, die würden sitzen, beteuert sie. Fast spontan bin ich bereit, sie zu nehmen, da sagt sie: "Der Eingriff ist allerdings von oben." Von oben? Was ich so schnell gar nicht gesehen habe, man greift von oben hinein, vier oder fünf Zentimeter unterhalb des Bunds, sieht ein bisschen aus wie bei einem Känguruh, und ich muss lachen und stelle mir vor, wie ich das Notwendige nach oben ans Tageslicht befördere und kann den Unsinn nicht begreifen und sage, das sei fast dasselbe, als wäre sie ohne.

Und da mir scheint, dass die Frau für meinen Einwand Verständnis hat,
resümiere ich, also dass das bei uns ja manchmal schnell gehen müsse... während sie, die Frauen, es dagegen sowieso leichter hätten, die sie das Hindernis überwänden, indem sie es einfach beiseiteschöben; aber dieser Kühnheit erkühne ich mich nicht mehr, auch hält sie mir plötzlich eine Unterhose in Feinripp und mit wirklich langem Bein hin, die, wäre sie nicht mit seitlichem Eingriff, aussieht wie ein sogenannter Liebestöter, also wie ein Weiberwinterbaumwollschlüpfer, zu warm für den Sommer, und zu groß erscheint sie mir auch, und ich nehme sie.



Diese Geschichte kam im Hinz&Kunzt-Schreibwettbewerb 2005 auf den 2. Platz und gewann darüber hinaus beim Vorstellen im Thalia-Theater den Publikumspreis per Akklamation.

"...letztendlich..." von Claus Günther:

Hallo? Hierher bitte, ja, kommen Sie!
Ich hab Sie gleich erkannt... Guten Tag. Schön, dass Sie da sind. Wollen wir hier draußen bleiben? Wie? Genau. Ich meine, wann kommt unsereins schon mal zu Jacobs... Und dann solch ein Wetter an der Elbe! Eben. Setzen wir uns. Sie... Sie waren ja öfter hier mit meinem Mann - ? O nein, bitte kein Beileid! Schließlich haben Sie Ihren Geliebten verloren. Also wenn überhaupt, dann trauern wir beide um Udo, oder? - Na na na... Hier, nehmen Sie mein Taschentuch. -
Woher ich das weiß mit Jacobs? Also erstens speiste Udo gern exquisit - nicht mit mir, aber mit anderen - und zweitens bin ich zwar spät aufgewacht, sehr spät, aber letztendlich habe ich die Kurve gekriegt und zähle nicht zu jenen Ehefrauen, die nie im Leben checken, wohin ihr Mann geht und wen er - also mit wem er's treibt, Susanne. Oh Pardon, Carina natürlich, Carina mit C, stimmt's? Susanne war ja die andere! Udo hatte immer zwei Tussis zur gleichen Zeit - das wussten Sie nicht? Sorry, Kindchen. Die sah Ihnen übrigens ähnlich, die Susanne. Aber die ist ja nun nicht mehr. Ganz plötzlich, ja. Tragisch. Aus Kummer? Hm, ach... eher weniger. Ich hab sie nur kurz kennen gelernt, gleich nach Udos Beisetzung. -
Fräulein, hallo! Ich nehm noch einen doppelten Espresso, und die junge Dame hier bekommt ein Kännchen Kaffee - wenn's recht ist, ja? - Okay, danke.
Sie trinken Ihren Kaffee schwarz, mit viiiel Zucker, Carina, richtig? Woher ich das - ? Nun, Udo hielt sich für gerissen; in Wirklichkeit war er strohdumm. Alles hatte er in seinem Laptop gespeichert, seine "Abgelegten" ebenso wie die Neuen. Eva, Conny, Sabine, Iris, Susanne, Carina: intimste Details von all seinen Schätzchen in der Stadt. `Pulver´ hieß sein Passwort - ausgerechnet! - Wie? Natürlich kenne ich eure E-Mails. Süßholzgeraspel, Babygebrabbel und Ferkeleien! Manchmal hab ich sogar mitgemischt - habt ihr nie gemerkt, stimmt's? Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Alles menschlich, wie Udo immer gesagt hat. C'est la vie! - Eifersüchtig, ich? Also... Für Sie war das okay mit Udo, klar. Haben Sie Kinder, Carina? Abtreibungen? Eine? Immerhin... Ach Quatsch, das ist kein `Verhör´! Sie sind, ich schätze mal äh - dreiundzwanzig? Guuut! Ein Jahr jünger als Miriam, meine Älteste. AiP ist sie, Ärztin im Praktikum. Und Sie? Was machen Sie? Studieren das Leben? Entschuldigung, ich wollte nicht - mein Gott, nun bleiben Sie schon sitzen!
Seh'n Sie, da kommt unser Kaffee. Danke.
Und nun schauen Sie sich die Schiffe an! Ist das nicht herrlich, dieser Blick auf die Elbe? Wie klar die Luft ist! Wo haben wir denn - ah, der Zucker, da ist er ja! Darf ich? Einmal, zweimal, dreimal - und kräftig umrühren, prost!
Haben Sie Udo eigentlich geliebt, Susa- äh, Carina? Wirklich? Ihn, oder sein Geld? Nun gehen Sie nicht wieder an die Decke, Liebchen, hier ist ja gar keine, ha ha ha! Was ist mit Ihren Beinen? Krämpfe? Ja, hat man manchmal. Sie haben doch auch was mit dem Herzen - jedenfalls hatte Udo das notiert. Aber es geht Ihnen noch gut, oder? Fein. Wo war ich stehenge- richtig, bei Udo. Der holte sich ja alle seine Fi - äh - Freundinnen von außerhalb, am liebsten gabelte er sie bei Festivitäten auf. Sie kommen doch aus Krempe, oder? Das ist ja bekannt durch die Fahnenschwinger, und da hat er Sie - weiß ich doch alles! Und dann ab nach Hamburg, in die Großstadt, zum Verwöhnen!! Mode von Beutin, Schmuck von Wempe, Kaffee bei Jacob, am Abend in die Oper, zur Nacht ins neue 5-Sterne-Hotel Le Royal Méridien - Sie nicken, Schätzchen, ich sehe Ihnen die Begeisterung an... Aber was ist jetzt? Sie sind blass!
Fräulein, hallo! Ein Glas Wasser für - schnell, bitte! Danke.
Tiiief durchatmen! So, ja... Und dann hat Udo Ihnen eine Luxus-Wohnung eingerichtet, in Harvestehude, na toll, Herzchen. Und wir? Altbau in Dulsberg, Ofenheizung, vierter Stock! Warum? Warumwarum! Udo hat selten gearbeitet. Noch seltener hat er sich um seine Famile gekümmert. Unsere drei Kinder habe ich mühsam durchgebracht. Ja, da staunen Sie! Udo war ein Faulpelz, obendrein ein Windhund, ein Blender, rattenscharf auf junge Weiber. Er hat mal Chemie studiert und im Keller oft mit Gift experimentiert, an Ratten. Eines Tages - also das weiße kristalline Pulver war sein Meisterstück! Von da an war unsere Wohnung sein Alibi und ich nur noch seine Waschfrau...
Carina, Menschenskind, ist Ihnen nicht wohl? Hier, das Wasser, trinken Sie, schnell! Ex! Guuut.
Ein Pulver übrigens - es lässt sich nicht nachweisen - , das sehr schnell tödlich wirkt, indem es zuerst die Beine lähmt, dann peu à peu den ganzen Körper, auch die Sprache, wobei der Mensch voll bei Bewusstsein bleibt... Jedenfalls hat Udo sich an reiche Witwen in Eppendorf rangemacht - unaufgeklärte Todesfälle bis heute. Er nahm deren Schmuck und Bargeld, um sein aufwändiges Leben zu finanzieren. - Was ist? Ein lähmendes Gefühl? Ja, Wasser beschleunigt den Prozess, lässt einen schnell verstummen, Kleines, aber Sie hören mich noch, oder? Okay, Carina, jetzt die Pointe.
Also das Pulver. Nachdem ich sein Geheimversteck entdeckt hatte, haben Miriam und ich Udos Kaffee aufgepeppt. Er trank ihn, war geschockt! Miriam tat, als habe sie ein Gegengift, das er bekäme, wenn er sein Testament zu meinen Gunsten unterschreiben würde - hat er getan, Carina! Ihre Luxuswohnung gehört jetzt mir, die von Susanne hat Miriam. Den Notar haben wir mit 'ner Flasche Scotch gefügig gemacht; ich wusste, dass er Trinker ist.
So, jetzt muss ich los. Bezahlen tu ich drinnen, Sie sind eingeladen, Schätzchen. Gleich kommt Miriam, die wird Sie hier wie zufällig finden und alles regeln. Plötzlicher Herztod, verstehen Sie? Also leben Sie wohl, Carina - hätte ich fast gesagt, ha ha! Was glotzen Sie denn so blöd? Ach richtig, der Zuckerstreuer! Fast hätte ich das Umtauschen vergessen. Das wäre was geworden, oha! Da muss ich Ihnen ja direkt dankbar sein, letztendlich...

     

Zwiespältige Gefühle
beim Besuch der "Queen Mary 2"

Nachdenkliches von Elke Kremkus

Die Medien kündigten den Besuch der "Queen Mary 2", sie ist das zweitgrößte Passagierschiff, zu einem Besuch für den 1. August 2005 in Hamburg an. Wir wollten uns die "Königin" unbedingt ansehen. Leider zeigte sich der Morgen ihrer Ankunft nicht von der besten Seite. Der Himmel war bewölkt, der Wind kalt, und mit Regen musste gerechnet werden. Ein Wetter, bei dem man am besten zu Hause bleibt. Die trübe Witterung beeinträchtigte nicht meine freudige Erwartung, und wir machten uns auf den Weg zur U-Bahnstation Burgstraße. Kurze Zeit später kam die Bahn, hielt, die Türen öffneten sich und mir schlug eine unangenehme schwüle Wärme, von den vielen
Foto: Cekora/Pixelio

Fahrgästen, entgegen. Trotzdem zwängten wir uns mit hinein. Die Bahnsteige Berliner Tor und Hauptbahnhof waren von Menschen übersät Einige konnten sich noch hineindrängeln. Allen anderen blieb nichts anderes übrig, als auf die nächste Bahn zu warten. Die Enge und die stickige Luft machten mir das Atmen schwer. "Gott sei Dank müssen wir Baumwall aussteigen:", hörte ich den Fahrgast neben mir. "Hoffentlich kommen wir hier raus", dachte ich. Bis zu dieser Station konnte niemand mehr hinzusteigen: nur aussteigen! Mit Erleichterung verließen wir, und alle anderen Fahrgäste auch, die Bahn am Baumwall.

Menschenmassen schoben sich zum Anlegeplatz Grasbrook im Hamburger Hafen. Sie strömten aus allen Richtungen! Nicht nur, um sie zu begrüßen, vielmehr um das spektakuläre Wendemanöver in dem engen Hafenbecken mit zu erleben. Genauso wie ich. Am Anfang der Hafencity, die zum Grasbrook führt, standen Würstchen, Fisch und Backwarenstände, außerdem Bierbuden in Mengen, die jetzt schon von den Besuchermassen belagert waren. Der Hamburger Dom war nichts dagegen! Das Schubsen und Drängeln wurde uns zu viel, und wir setzten darum unseren Weg hinter den Verkaufsständen fort. Mühsam stiegen wir über Schotter, versanken mit den Schuhen im Sand und stolperten über herumliegende Schläuche und Kabel. Endlich, endlich blickten wir schwer atmend aus nächster Nähe, ehrfürchtig auf die "Königin"! Sie war zum "Greifen nah und dennoch - unmöglich, sie zu berühren!

Das Wendemanöver verschob sich von 11.30 Uhr auf 14.30 Uhr, weil der Wasserstand der Elbe noch nicht hoch genug war Somit konnten wir die Zeit nutzen, unseren Hunger und Durst in Ruhe zu stillen. Wir hatten Glück! Vor einer aufgestellten Bühne mit angrenzender Großleinwand waren auf einer Bank noch zwei Sitzplätze frei, die den Blick auf die dahinter liegende "Queen Mary 2" zuließ. Wir genossen die Livemusik und Interviews. Es folgte ein Bericht, über das Einlaufen des Schiffes am frühen Morgen in den Hafen. Tausende standen elbabwärts. Viele haben sich nachts, zum Beispiel aus Niedersachsen, dem Rheinland und Nordrhein Westfahlen usw, auf den Weg gemacht, um das Schiff zu begrüßen Gegen 23.30 Uhr sollte sie mit einem großen Feuerwerk wieder verabschiedet werden.

Drei kurze Töne aus dem Signalhorn und tosender Beifall der Menschen, leiteten das Wendemanöver ein. Einige nahmen dies zum Anlass auf Bänke und Tische zu steigen, um einen noch besseren Blick einzufangen. Langsam fuhr die "Queen" ihrem Wendepunkt entgegen und stieß dabei noch einmal drei kurze Töne aus. Der dann folgende, anhaltende, tiefe, nachhallende Ton, der sich dröhnend auf meine Brust legte, ließ mich erschaudern.

Gleichzeitig überlief mich am ganzen Körper eine Gänsehaut, als ich die Hits aus den "späten Sechzigern" hörte. Die Lieder von Simon & Garfunkel, wie "The sound of silence" und "Bridge over troubled water' sog ich buchstäblich in mich hinein. Unvermittelt spürte ich eine Traurigkeit, die ein Einsamkeitsgefühl nach sich zog. Dadurch rauschte das weitere Geschehen zu Wasser und Land an mir vorüber.

Was geschah mit mir? Und warum? War es die Erinnerung an die Katastrophenfilme "Der Untergang der Poseidon" und der "Titanic" Oder nur die "Titanic", die man ebenso umjubelt hatte, wie die "Queen Mary 2"? Oder die Kapelle, die damals auch beim Ablegen der Titanic vom Kai spielte? Oder die Bordkapelle, die musizierend mit ihr unterging? Oder lösten Simon & Garfunkel mit ihren Oldies unbewusste Kindheitserinnerungen in mir aus? Oder wirkte ihre Musik zu meiner Teenagerzeit auch schon so melancholisch auf mich? Oder war es ein Zusammenspiel zwischen Musik, Schiff und Wasser?
Oder stellt mein Gefühl Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Frage? Oder . . . oder . . . oder . . .?

     
   
Wann kommst du?


Wenn du da bist vergesse ich Sorgen und Pein,
Du lässt mich zufrieden und glücklich sein,
Nimmst mich behutsam in den Arm,
Umhüllst mich mit Wohlgefühl, sicher und warm.

Mit all meiner Kraft sehn ich dich herbei,
Mach du mich von aller Mühsal frei.
Ohne dich find ich keine Ruh,
Du drückst mir leis die Augen zu,
hebst mich sanft zu himmlischen Höh'n.
Wenn du nicht bald kommst, krieg ich 'nen Föhn!

Ich bin schon beim tausendundfünften Schaf!
Wann kommst du endlich - - Schlaf?

Helga Frohwann

   

Meerjungfrauen

Ihr seid nur bis zum Nabel Maid
und weiter unten Flunder.
Dass ihr zeitlebens Jungfrau'n bleibt,
ist deshalb auch kein Wunder.

Robert Mahler

   

Frauen erzählt von Beate Donsbach

Wie bin ich doch dem lieben Gott oder auch den langsameren Spermien dankbar, dass es damals vor 65 Jahren eine XX-Kombination war, die mich hervorbrachte. Was hätte ich sonst alles hinnehmen und entbehren müssen!
Frauwerden fängt ja bereits als Kind an: man ließ mir die Haare wachsen und ich durfte das Ziepen beim Kämmen erleben, was ja keinem Jungen vergönnt war; mir wäre auch die Blechspange beim Sturz von der Treppe nicht in den Schädel gedrungen, wovon ich noch heute eine Narbe fühlen kann. Ich hätte keine Zöpfe geflochten gekriegt, an denen die Nachbarsjungen so gerne zogen, ich hätte keine Röcke getragen, die mit dem Ausruf "Fahne hoch!" von ebendiesen Jungen hochgehoben wurden und mir die Wichtigkeit der schamhaft verdeckten Körperteile ins Bewusstsein kommen ließ. Das Geheimnis, das dort verborgen war, interessierte die Meute viel mehr, als umgekehrt das "Zipfelchen", das sie beim Weitpinkeln vom Mäuerchen hinter dem Garten aus ihrem Hosenlatz hervorzauberten.

Auch die Erfahrungen über die Kostbarkeit meiner Puppen und Stofftiere hätte ich nie gemacht, hätten sie sie nicht aus meinem Puppenwagen gerissen und oben in die Baumwipfel geworfen, bis sie dort hängen blieben. Sich das Heulen zu verkneifen war ein großartiger Akt von Tapferkeit, auf den meine Schwester und ich heute noch stolz sind. Irgendwann fing die Pubertät an. Was war es doch für ein wunderbares Gefühl der Erleichterung, wenn die Regelschmerzen nachließen! Keiner der Jungs, die da neugierig 'rumstanden und uns nachglotzten, hatte solch intensive Körperwahrnehmung!Bei ihnen war es doch alles nur äußerlich und oberflächlich, bestenfalls klebrig und meistens auch noch im Schlaf. Auch die Körperformen, die sich bei uns Mädchen veränderten, erregten Interesse und Neid. Es wuchs etwas zwischen den Oberarmen, das uns neue Modewege eröffnete. Stolz waren wir, als wir endlich den ersten Büstenhalter bekamen, dessen Beengung uns bei jedem tiefen Atemzug bewusst wurde und dessen Haken wir jeden Morgen mit einer Gymnastik-Verrenkung schließen durften. Viel versprechend auch die Brustwarzen - ließen sie doch zukünftige Funktionen erahnen, während die der Jungs nur Attrappen blieben.

Bald kam auch die Tanzstundenzeit. Wir durften die Füße in erste Pumps zwängen, Blasen bekommen und einen neuen Gang entwickeln. Der Petticoat verschaffte uns schwingende Bewegungen und die darunter zu tragenden Nylons bis heute unerwartete Überraschungen von Laufmaschen. Die Haare wurden in längeren Prozeduren toupiert und die Pickel mit Make-up verdeckt, während unsere Herren offen zu ihnen stehen mussten. Die Entfernung der Achselhaare brachte uns den letzten amerikanischen Schliff und einige Tage später ein lustiges Pieksen in der Achselhöhle. Wir Fräuleins entdeckten auch eine ganz neue moderne Kommunikationsform: das Telefonieren. Welche Kreativität haben wir da entwickelt! Wir förderten damit unsere Sprachentwicklung, unser soziales Netz und letztlich auch die Wirtschaft, weil ohne uns schon mancher Telefonanbieter in der Pleite gelandet wäre. Ein ganz wesentlicher Teil unseres Frauseins hieß dann: "Um sich werben lassen". Das wurde zum ersten Ball erprobt. Leider waren die begehrten Bewerber aber sehr rar, und wir erlebten das einmalige Gefühl von Sitzenbleiben oder sogar Liebeskummer. Ein Kummer, dessen Ursache Liebe war oder ist, was gäbe es Schöneres! Die Herren wechselten ihre Gespielinnen wie Staffelläufer das Holz, wir hingegen lernten Gefühle zu erleben wie: Erwartung, Hoffnung, Sehnsucht, Enttäuschung Hingabe Eifersucht, Schmerz, etc. Das hat uns reifen lassen, Tiefe gegeben und immer ein Gesprächsthema.

Die Berufswahl war die nächste Stufe der Frauwerdung. Da hatten wir nun wirklich mal die richtigen Chromosomen - wir durften direkt nach dem Schulabschluss schon was werden, während unsere männlichen Altersgenossen die Bundeswehr stark machten. Dafür lernten wir in dieser Zeit Vorfreude und Abschiedsschmerz, wenn wir, (wie ich) dort einen Spezi hatten. Wir lernten Briefe zu schreiben, Wochenenden zu genießen und Deutschland und seine Kasernen kennen, wenn wir unsere Lover besuchten. Stichwort "Lover': Wie wunderbar, dass uns auch das Kapitel 'Verhütung' übertragen wurde. Endlich, nach Erfindung der Pille, hatten wir es weitgehend in der Hand, ob wir rasch auf Familiengründung hinauswollten, oder selbst einen Teil unserer Zukunft entscheiden konnten. Das war der Sprung in die Emanzipation - und ab jetzt wurde alles anders - anders??

Wir dürfen nun ja endlich in alle oder fast alle Berufe. Nur - wir müssen doppelt so gut sein wie die Männer, was ja eigentlich auch wirklich nicht so schwer ist. Das bisschen Haushalt - nun ja - dafür haben die Männer für uns doch großartige Geräte erfunden, mit hohem Spaßfaktor! Sie zeigen uns auch gerne die Bedienung und haben Mitleid mit uns, wenn wir's nach der zigsten Erklärung immer noch nicht können.

Wir bekamen auch den praktischen kleinen Zweitwagen, um besser Einkaufen und die Kinder hin- und herfahren zu können. Wir durften die Kinder auch Tag und Nacht versorgen, ihre Lehrer kennen lernen, wenn es Stress in der Schule gab, sie lieb und artig dem Vater gegenüber erziehen und - und - und.
Nun haben wir bereits die Oma-Rolle und beschäftigen uns wieder mit Pampers, jetzt aber
High-Tec und beherrschen auch schon einfache Computerspiele. Nebenbei halten wir unsern Körper durch Fitness in Form, kochen für uns und ihn kalorienbewusst und fettarm, sorgen für Haus und Garten und dass die Geburtstage, besonders seine, ihren Glanz erhalten. Wir haben seine und unsere Eltern gepflegt, als sie hilfsbedürftig wurden und wir werden natürlich auch ihn, unser bestes Stück, pflegen und eines Tages beweinen, wenn er, statistisch gesehen,
7 1/2 Jahre vor uns geht.
Das sieht er auch so: " aber Schätzchen, als Entschädigung hast du dann doch auch fast die ganze Rente für dich allein!"
Was haben wir Frauen doch für ein Glück, dass wir Frauen sind!!

Beate Donsbach

 

   

Aufschwung von Helga Frohwann

Zwei Kaffeeschwestern reden über unsere Wirtschaftslage
und über dies und das

Lina: Oh, Amanda, dein Handgebüdelter ist nicht zu übertreffen!

Amanda: Der ist von Tschibo, Nummer 5 für Handaufguss.
Die schütten die Bohnen direkt vor deinen Augen in die Kaffeemühle.
Keine Chance für Beimischung.

L: Das schmeckt man aber auch! Und was gibt's Neues im Haus?

A: Och, das Alte wird aufgewärmt. Die Schmittsche versucht immer noch, die Fremdwörter einzudeutschen. Das geht von der Flatrate über up to date bei ihrem Sparbuch, bis zum Trittoir, das eigentlich für Fußgänger ist und rücksichtslos von Radfahrern benutzt wird. Neuerdings hat sie einen anderen Ausdruck für Kacke erfunden, Ackelitis. Einfach das K weggelassen und 'ne Fremdsilbe angehängt. Da komm man erst mal drauf!

L: Aber klingt doch vornehm, nich?

A: Frau Gliß hat an'e Alster für fünfzig Cent so'n grünes Klo benutzt und kam da nich wieder raus. Zum Glück hatte sie das Handy mit, das ihre Kinder ihr aufgedrängelt hatten. Fünf Feuerwehrleute haben sie da wieder rausgeholt.

L:Oh, schrecklich, ich glaube ich wär gestorben. In so'n Ding geh' ich bestimmt nich rein!

A: Die Gliß auch nich wieder.

L: Lass uns mal die Nachrichten kucken, die reden da andauernd von Aufschwung. Er soll ja da sein, aber keiner hat ihn bis jetzt geseh'n.

A: Aber merken tust du ihn überall! Bei der Butter zum Beispiel, von 85 Cent auf ein Euro fünf!

L: Ja und manchmal gibt's Aufschwung und Abschwung zusammen. In'e Packung sind zwanzig Gramm weniger und dafür ist sie 20 Cent teurer.

A: Armes Deutschland! Wo soll das bloß noch hinführ'n!

L: Wir haben richtig Glück, dass wir schon so alt sind!

A: Ja, hat alles immer zwei Seiten.

L: Na denn, Prost Kaffee!

November 2010

 

Neues von Lina und Amanda

Liebe Lina,
von Helga Frohwann

genau wie du, freu ich mich immer über Post. Danke für deine lebhaften Schilderungen. Du sitzt ja mitten im Leben. Ich kann mir das gut vorstellen. Ein Tablett mit 23 durchnumerierten Knackgebissen und dazu auch noch numerierte Zettelchen, und der arme Azubi stolpert. Bei der Dental- Modenschau wäre ich gern dabei gewesen!
Wie gut, dass wir unsere Zähne noch selber putzen können.

Die Geschichte von Mutter Theresa ist noch nicht bis zu mir durchgedrungen, obwohl ich den ganzen Tag den Quatschkasten anhabe, und in der Bunten blättere. Na ja, manchmal schlafe ich auch ein. Es ist ja unglaublich! Sie hat so viele Spenden gesammelt, aber nur einen Bruchteil davon nach Indien weiter geleitet und den größten Teil an den Vatikan geschickt. Darum ist sie auch so schnell heilig gesprochen worden. Aber wenn ich dir für einen bestimmten Zweck Geld geb und du es dann nicht dafür verwendest, ist das nicht Betrug?
Aber in höheren Kreisen herrschen wohl andere Regeln.

Herr Kohl sitzt ja sein Ehrenwort auch noch aus ohne Konsequenzen. Ob er wohl noch sein Auto mit Chauffeur und sein Büro mit Sekretärin finanziert bekommt?, oder ob er sich mit seinen lausigen 200 000 Euro zufrieden geben muss? Aber das kann ja alles seine neue Frau benutzen Hoffentlich erlebt sie noch mit ihm den 10. Hochzeitstag, sonst bekommt sie ja nicht seine Rente. Ich hör dich schon sagen: Das schafft der schon. Was meinst du, was sie dem für Aufbauspritzen geben! Oder sie machen es wie in Griechenland und melden ihn einfach nicht ab.
Ach Lina, unser Plausch im Treppenhaus fehlt mir ja so.
Unsere alte Nachbarschaft funktioniert immer noch ganz gut. Sie gucken alle abwechselnd bei mir ein, aber die Neuen stellen sich nicht immer bei mir vor.
Du weißt nicht, wohnen die hier, oder sind das Fremde, die hier einbrechen wollen.
Oben rechts wohnt jetzt ein dunkelhäutiges Paar, Araber oder Iraner. Da ist nur Zank und Streit, ganz laut, sagt die Schmitt'sche, und die ist schwerhörig. Es muss also richtig laut sein.
Sie ist noch die einzige von früher. Über mir wohnt eine Alleinerziehende mit einem schwarzen Jungen, und bei den restlichen zwei Wohnungen kannst du gar nicht so schnell gucken, wie die aus- und einziehen.

Im Heinskamp ist neulich eine Parterre-Wohnung frei geworden, da standen sechzig Leute vor der Tür, um sie zu mieten, sagte Schmiddi. Ob unsere Genossenschaft keine Warteliste mehr hat? Kommst einfach nicht mehr mit, mit die heutige Zeit.
Wenn du deinen Krankenkassenbeitrag nicht mehr bezahlen kannst, musst du 60% Verzugszinsen berappen und das per Gesetz. Das ist doch Wucher! Wusstest du das? Aber gnädigerweise will unsere Regierung das nu ändern.

So meine Liebe, das wär's für heute. Ich will gleich mal Jauch anschalten.
Unsere neue Postbotin ist sehr nett und nimmt den Brief morgen mit.

Hol di stief und tschüß Deine Manda.

 

     
     
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