| Das Weihnachtsgeschenk von Christa Renken 
 
  Es 
        war an einem trüben Novembertag im Jahr 1933. Die Geschwister, der 
        zwölfjährige Hans-Joachim, genannt Hansi, und die neunjährige 
        Christel langweilten sich. Sie waren vor kurzem von der Kleinstadt in 
        die Großstadt gezogen. Wehmütig dachten sie an die Freunde, 
        von denen sie Abschied genommen hatten. Hansi meinte: "Wenn wir wenigstens einen Hund haben könnten, 
        so einen wie den Foxterrier Struppi im Nachbarhaus."
 "Ach, wäre das schön", schwärmte Christel. "Aber 
        es gibt doch noch kleinere Tiere, mit denen Mutti nicht auszugehen braucht, 
        wenn wir in der Schule sind. Gegen einen Wellensittich zum Beispiel könnte 
        sie bestimmt nichts einwenden."
 Hansi war von der Idee begeistert und bat Christel: "Lass uns sofort 
        losgehen. Die Zoohandlung ist gottseidank in der Nähe."
 
 Im 
        Nu wich die Traurigkeit von den beiden und wandelte sich in Spannung und 
        Vorfreude. Das Ziel war schnell erreicht. Bisher hatten sie nur von draußen 
        hineingesehen.
 Nun wollten sie Kunden werden. Selbstbewußt betraten sie daher das 
        Geschäft. Vorerst nahm sie das exotische Flair gefangen. Es gab viele 
        Kleintiere und vor allem bunte, zwitschernde Vögel jeglicher Art. 
        Die Wahl würde schwer fallen. Der Verkäufer, der geduldig alle 
        Fragen der Kinder beantwortete, hatte volles Verständnis für 
        den Wunsch der Kinder und zeigte ihnen die Wellensittiche. Erst mußte 
        geklärt werden, ob das Taschengeld reichen würde. Hansi 
        meinte: "Es wird bestimmt klappen. Außerdem bekommen wir noch 
        Taschengeld. Den Vogel können wir ohnehin nicht mitnehmen. Aber ich 
        habe etwas gesehen, was wir für den Wellensittich brauchen könnten. 
        Schau den Spielplatz an, der hier steht. Wie gefällt er Dir ? ...."
 "Ganz prima" antwortete Christel. "Aber dann langt unser 
        Taschengeld vielleicht nicht."
 "Das ist doch nicht so schlimm", witzelte Hansi. "Wir legen 
        einfach ein Ei auf den Käfigboden und liefern später den Vogel 
        nach."
 
 Sie 
        kauften schließlich den Spielplatz. Der Anfang war gemacht. Alles 
        andere würde sich ergeben, dachte nun auch Christel zuversichtlich.
 Am nächsten Tag vertraute sich Christel einer Klassenkameradin an: 
        "Stell Dir vor, mein Bruder und ich wollen unseren Eltern einen Wellensittich 
        schenken. Einen Spielplatz haben wir schon. Nun fehlt noch ein preiswerter 
        Käfig. "Ich kann Dir vielleicht helfen" , sagte das Mädchen. 
        " Ich muss nur mit meinen Eltern sprechen. Wir haben auf dem Boden 
        noch einen selbstgebastelten Käfig."
 Tatsächlich 
        erhielt Christel am nächsten Tag einen preisgünstigen, sehr 
        schönen Käfig, der wie ein Schwarzwaldhaus aussah und sogar 
        mit zwei Balkons ausgestattet war. Stolz trug sie das Vogelhaus nach Hause. 
        Hansi sagte begeistert: "Nun können wir auch den Vogel kaufen."
 Noch im November holten Sie in einem Transportkäfig ein blaues Wellensittich-Männchen, 
        das sie "Pepo" nannten.
 Kaum 
        waren sie im Kinderzimmer, versuchten sie, den zuerst scheuen Vogel aus 
        der Hand zu füttern. Mit viel Geduld hatten sie bald ihr Ziel erreicht. 
        Pepo kam auf den Zeigefinger und kletterte zur Freude der Kinder von einem 
        Finger auf den anderen. Beim ersten Freiflug allerdings gingen beide zu 
        Beginn in Deckung.
 Doch sie gewöhnten sich bald an den schnellen Flieger. Pepo landete 
        immer erst auf dem Käfig und kletterte dann hinein.
 Natürlich sollte das Weihnachtsgeschenk bis Weihnachten geheim bleiben, 
        obwohl die Kinder es kaum abwarten konnten, den Vogel zu präsentieren.
 
 Vorsichtshalber 
        hatten sie ihre Mutter gebeten, das Zimmer nicht zu betreten. Eines Tages 
        sprach sie die Kinder an. "Hört mal ihr beiden. Ihr wißt 
        doch, dass das Zimmer nicht geheizt ist. Solltet ihr etwas Lebendiges 
        verstecken, dann könnte es dem Tier schaden. Schließlich wäre 
        es nicht schlimm, wenn ihr die Bescherung vorzieht."
 Das hatten die Kinder nicht bedacht. Erst jetzt fiel ihnen ein, dass die 
        Mutter sicher das Piepen gehört hatte. Hansi meinte: "Mutti 
        hat Recht. Wir sollten unsere Eltern schon vorher beschenken. Morgen ist 
        der 1. Advent. Das passt gut." Eigentlich konnte er es ebensowenig 
        abwarten wie Christel, die sofort zustimmte.
 Dann war es so weit. Am nächsten Morgen marschierten beide ins Wohnzimmer, 
        Hansi mit Pepo auf dem Finger voraus, Christel folgte mit dem Käfig.
 Obwohl die Eltern schon eine Vorahnung hatten, waren sie überrascht, 
        besonders über die Zutraulichkeit des Vogels, der ohne Scheu auf 
        den Finger des Vaters hüpfte.
 
 Fröhlich sagte er: "Da habt Ihr Euch etwas besonders Schönes 
        ausgedacht" , während die Mutter zu bedenken gab: "Eigentlich 
        wollten wir kein Tier im Haus haben. Aber auch ich muß zugeben, 
        dass ich mich über Euer Geschenk freue." Als Pepo übermütig 
        durch das große Zimmer flatterte, zogen die Eltern zuerst ihre Köpfe 
        ein, bis der Vogel schließlich auf dem Gardinenbrett landete.
 Alle fanden, daß es eine gelungene vorweihnachtliche Bescherung 
        sei, ein besonderer 1. 
        Advent, an den sie sich noch lange erinnern würden.
 Natürlich dachten Christel und Hansi daran, dass sie sich selbst 
        auch einen Wunsch erfüllt hatten. Hinzuzufügen wäre noch, 
        dass die beiden ihrem Vater zu seinem Geburtstag im Januar noch ein gelbes 
        Wellensittich-Weibchen schenkten, das sie "Dolly" nannten. Damit 
        war auch die Vogelfamilie perfekt.
 
 Foto: Gertrud Everding
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    |   Alle Jahre 
        wieder 
 Eine heiter-besinnliche Erzählung von Martin Ripp
 Seit einundvierzig 
        Jahren, solange wie wir verheiratet sind, legt meine Frau mir am 15. Dezember 
        Weihnachts- und Neujahrskarten sowie die von ihr geführte Namens- 
        und Adressenliste auf den Schreibtisch. Jedes Jahr protestiere ich erneut, 
        aber erfolglos. Sie besorgt die Karten und hält die Liste auf dem 
        neuesten Stand. Zu mir sagt sie: "Du hast nun mal diese schöne, 
        leserliche Handschrift!" Was kann ich dagegen einwenden? Mich stört 
        ja auch weniger das Schreiben als der Zwang dazu, meist nach dem Motto: 
        Schickst du uns eine Karte, bekommst du auch eine!Den inneren Kreis, die nahen Verwandten, findet man natürlich nicht 
        auf dieser Liste, weil wir über Weihnachten zusammen sind oder zumindest 
        miteinander telefonieren.
 Dieses Jahr sind es zwanzig gut sortierte Karten. Vor dreißig oder 
        vierzig Jahren waren es bestimmt noch zehn oder fünfzehn mehr. Die 
        Abgänge auf dieser Liste waren größer als die Zugänge. 
        Meine Frau streicht und ergänzt jedes Jahr, stellt sie aber nie neu 
        zusammen.
 Es sind 
        inzwischen fünf linierte und geheftete Din A4-Seiten, von denen die 
        ersten drei bereits zerfleddert sind. Viele Namen sind durchgestrichen, 
        weil die Menschen unbekannt verzogen oder inzwischen verstorben sind, 
        der Kontakt aus irgendwelchen Gründen abgebrochen wurde oder sie 
        nie mit einer Antwortkarte reagiert haben.
  Jedes Jahr wieder habe ich die Qual der Wahl. Von der einfachsten Karte 
        bis zur künstlerisch wertvollen zum Preis eines kleinen Weihnachtgeschenks. 
        Und dann die verschiedenen Motive:
 Weihnachtsmänner, geschmückte und grüne Tannenbäume, 
        mit Lichterketten dekorierte Fenster, strahlende Kinderaugen, Schneemänner, 
        Engel oder Winterlandschaften. Die sind mir die liebsten. Bei 10 Grad 
        plus und Nieselregen verschicke ich damit Träume.
 
 Schon beim Schreiben klingt mir Bing Crosbys "White Christmas" 
        in den Ohren.
 Unterschiedlich sind ja auch die eingedruckten Texte: "Ein frohes 
        Fest.", "Fröhliche Weihnachten.", "Ein frohes 
        Fest und ein glückliches neues Jahr.", "Fröhliche 
        Weihnachten und einen guten Rutsch!", oder nur "Ein gutes neues 
        Jahr!" Bei Leuten, die ich nicht so gerne mag, schreibe ich: "Umseitiges 
        wünschen Rita und Manfred." Oder ich fange mit einem Bindestrich 
        an. Einige Karten haben keinen Text. Die verwende ich dann für Menschen, 
        denen ich mehr zu sagen habe. Da kann ich dann "Fröhliche Weihnachten", 
        "Ein gutes neues Jahr!" oder vielleicht auch noch etwas anderes 
        einsetzen, mit meiner schönen, leserlichen Handschrift.
 
 Karten, die einige Tage vor dem Fest bei uns eintreffen, vergleicht meine 
        Frau sofort mit ihrer Liste. Steht ein Name noch nicht drauf, notiert 
        sie ihn und ich muß sofort eine zusätzliche Weihnachtskarte 
        absenden. Eingänge vom 24. Dezember von Absendern, die von uns noch 
        nicht bedacht wurden, übernimmt sie ebenfalls für das nächste 
        Jahr. Die erhalten von mir eine vorgedruckte Neujahrskarte, auf der wir 
        uns für ihre Weihnachtskarte bedanken.
 
 Ich beginne immer hinten auf der Liste mit den einfachen Postkarten und 
        schreibe mich nach vorne zu den langjährig Bedachten, die die teureren 
        Karten von mir erhalten.
 Auf der ersten Seite, die an der linken oberen Ecke vom vielen Heften 
        in all den Jahren zerlöchert ist, steht nur noch in der vorletzten 
        Reihe eine gültige Position. Alle anderen Namen und Adressen sind 
        von meiner Frau durchgestrichen worden und haben für mich als Kartenschreiber 
        keine Bedeutung mehr. Trotzdem gehe ich sie Reihe für Reihe durch 
        und frage mich nach den Gründen. Bei einigen sind sie mir klar, da 
        befindet sich neben dem Namen ein Kreuz.
 
 Tante Meta ist nachgeblieben. Als wir sie vor rund zwanzig Jahren in Stuttgart 
        besuchten, wirkte sie auf mich schon wie eine alte Frau. Inzwischen muß 
        sie weit über neunzig sein. Vor sieben oder acht Jahren haben ihre 
        Kinder sie vorübergehend - wie sie ihr und uns versicherten - in 
        einem Altenheim untergebracht, da sie nach einem längeren Krankenhausaufenthalt 
        noch nicht wieder in der Lage war, sich in ihrer Wohnung zu versorgen. 
        Ihr Mann war im Zweiten Weltkrieg gefallen und sie hat für die beiden 
        Mädchen allein sorgen müssen.
 Obwohl es eine Dauerunterbringung war, habe ich immer geschrieben:
 "Meta Hülsemann , z. Zt. Seniorenheim Bethesda".
 
 Ich suche die schönste Karte mit einer Winterlandschaft aus: Schneebedeckte 
        Berge hinter einem Wald mit bereiften Ästen und Zweigen. Im Vordergrund 
        ein Pferdegespann auf einem eingeschneiten Weg, der an einem Bach entlang 
        führt, dessen Ränder zugefroren sind. Im Hintergrund eine Holzbrücke, 
        die über das Wasser zu einem Schloß mit einem golden leuchtenden 
        Turm führt. Das einzige, was mich stört, ist das eingedruckte 
        "Fröhliche Weihnachten." Aber es verläuft in einer 
        weißen Schrift über den schneebedeckten Gipfeln, und ist selbst 
        für mich nur schwach zu erkennen. Denn wie kann man ihr das wünschen, 
        wenn sie vielleicht schon im Rollstuhl sitzt?
 
 Nach reiflichem Überlegen schreibe ich die Adresse aber wie in den 
        vergangenen Jahren. Es könnte jetzt mit dieser hübschen Karte 
        eine andere Bedeutung bekommen. Vielleicht wird es die einzige Karte sein, 
        die sie bekommt. Sie würde sie sich dann länger und genauer 
        ansehen. Zuerst das Bild, dann meine Zeilen und schließlich würde 
        ihr Blick auf die Anschrift übergehen, auf der ich "zur Zeit" 
        dieses Mal nicht abgekürzt, sondern ausgeschrieben und zusätzlich 
        noch
  dick unterstrichen habe. 
 Ich kann mir vorstellen, daß sie das jetzt nicht mehr als Verbindung 
        zu ihrer Wohnung verstehen wird, die von ihren Kindern längst aufgelöst 
        wurde. Ich hoffe, sie wird die Karte dann wieder umdrehen und gedanklich, 
        Bing Crosbys weiche Stimme im Ohr, durch diese Winterlandschaft über 
        die Brücke in das Schloß mit dem goldenen Turm wandern. Dann 
        hätte ich nicht nur einen Traum verschickt, dann würden diese 
        beiden Worte auch mehr Hoffnung bringen, als alle unsere guten Wünsche!
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    |   Jahreswende 
          Das alte 
        Jahr geht nun zu Ende.Am Horizont ganz zart und sacht
 erscheint uns nun die "Zeitenwende"
 inmitten klarer Winternacht.
 Begrüßt 
        sie nur mit Böllerschüssen,Raketenglanz und viel Geschrei,
 damit die alten Geister wissen,
 die Zeit für sie ist nun vorbei!
 Nichts 
        soll das "Neue Jahr" belasten, das Üble, Böse bleibt zurück,
 ist alt, zerfetzt - ist abgetragen,
 man hofft jetzt auf ein neues Glück.
 
 
 
 
 
 
 |   Immer 
        hatten Menschen Wünsche, Gesundheit, Arbeit, Gut und Geld;
 am wichtigsten auf Erden aber
 ist doch der Friede auf der Welt!
 Laßt 
        endlich die Vernunft jetzt walten, verbannt den Hunger und den Neid;
 für alle Lebensraum erhalten,
 im neuen Jahr - in neuer Zeit!
  Gertrud 
        Pforr 
 "Tannenzweig"Monotypie von H.-W. Ecker/Literadies
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