Lukas schnappt
den Täter
von Martin Ripp für
Lukas
An
einem schönen Tag in den Sommerferien dieses Jahres stieg ich mit
meinem Opa Kuddel am Bahnhof Berne in die U-Bahn. Für Opa ist das
immer noch die Hochbahn. Opa hat noch die erste Ringbahn kennen gelernt,
die nur oberirdisch fuhr und deshalb auch Hochbahn hieß!
Wir wollten bis zum Jungfernstieg fahren. Opa wollte mit mir eine Alster-Rundfahrt
mit dem alten Dampfschiff Sankt Georg' machen.
Opa heißt eigentlich Karl, aber niemand nennt ihn so. Den Namen
hat Opa damals im Hamburger Hafen von seinen Kollegen bekommen, wo er
bis zur Rente gearbeitet hat. Er ist in Barmbek geboren und da sprachen
damals die meisten Menschen Plattdeutsch. Auch Opa spricht gern Platt.
Aber mit mir wenig, weil ich nicht so viel verstehen kann. Er will es
mir noch beibringen, damit diese Sprache nicht ausstirbt.
Er
sagt immer: "Ich bin Barmbeker, und trotzdem ist aus mir was geworden.
Helmut Schmidt kommt auch aus Barmbek, und der wurde sogar Bundeskanzler!"
Mit dem was geworden' hat Opa recht!
Er schreibt
nämlich echt gute Geschichten und er macht auch noch Leichtathletik,
Laufen und so, obwohl er so alt ist, und seine Muskeln sind fast so stark
wie die von den Klitschkos! Er tobt mit mir herum wie ein junger Mann
und sagt nie, dass er müde ist. Macht sogar Wettrennen mit mir. Ich
gewinne immer! Aber ich glaube, er strengt sich gar nicht richtig an,
weil er will, dass ich Erster werde! - Ich habe ihn ganz doll lieb - und
nicht nur deswegen!!
Meine Oma Bertha habe ich auch sehr lieb. Sie kocht mir immer Nudeln und
Pizza, wenn ich möchte, und sie geht mit mir zum Schwimmen. Sie liebt
auch Opa, ihren Mann, und nennt ihn Mein großer Märchenerzähler'.
Das ist doch viel mehr, als wenn andere zu ihrem Mann Schatzi' oder
Bärchen' sagen!! Aber sie meint wohl nicht, dass aus Opa was
geworden ist', denn wenn sie gefragt wird, was ihr Mann von Beruf war,
sagt sie nicht Hafenarbeiter, sondern Schauermann. Die Leute denken dann
wohl, ein Schauermann, der ist beim Wetterdienst, vielleicht ein Profi
für Regen- Schnee- und Graupelschauer.
Aber jetzt
kommt das richtig Spannende. Ich muss es euch unbedingt erzählen.
In der Hochbahn hing neben der Tür ein Bild von einem Mann und mit
viel Schrift, die ich noch nicht lesen konnte. Nur die Überschrift
konnte ich buchstabieren und fragte Opa: "Was heißt Be-loh-nung'?"
Opa erklärte mir das und las dann den Text vor:
BELOHNUNG!
Gesucht wird dieser Mann (Phantombild) Er ist ein Taschendieb und
hat es besonders auf die Portemonnaies älterer Damen abgesehen; verwickelt
sie meistens in ein Gespräch um sie abzulenken und schlägt dann
zu .Wir hatten in den letzten drei Wochen sieben Anzeigen. Er scheint
überwiegend in U- oder S-Bahnen seine Gaunereien auszuüben.
Deswegen bitten wir Sie, liebe Fahrgäste, seien Sie vorsichtig und
beobachten Sie Ihre Mitreisenden. Die Bekleidung soll unterschiedlich
sein. Manchmal hat er einen Blaumann an, wie Handwerker ihn tragen. Aber
er soll auch normale Sommerjacken getragen haben. Ein besonderes Merkmal
ist eine quer über die linke Wange verlaufende tiefe Narbe
Die Hamburger Hochbahn AG hat eine Belohnung von 1000 Euro ausgesetzt.
Also Augen auf, liebe Fahrgäste! Vielleicht lohnt sich das!!'
Opa fragte mich, ob ich das verstanden hätte. Ich war ziemlich verwirrt
und nickte. Ließ mir dann aber noch erklären, was ein Phantombild
ist.
Berliner Tor stieg ein Mann mit einem Blaumann ein und setzte sich zwischen
zwei Frauen, eine jüngere und eine ältere. Mit der Älteren
fing er sofort ein Gespräch an. Sie hatte einen Korb auf ihrem Schoß.
Ich konnte nur eine Gesichtshälfte von dem Mann sehen und sagte zu
Opa: "Ich geh mal vorbei. Vielleicht hat er links eine Narbe."
Tatsächlich!
Eine tiefe, scheußliche Narbe! Ich schauderte, setzte mich schnell
wieder neben Opa und hielt seine Hand fest. Ich war bleich wie Milchsuppe!
Opa blinzelte mir zu und drückte seinen Zeigefinger auf die Lippen.
Ich konnte sowieso nichts sagen. Lange Zeit geschah nichts, die Stationen
flimmerten vorbei. Wenn nicht bald etwas passieren würde, müssten
wir über den Jungfernstieg hinaus fahren. Plötzlich fingen die
Beiden an, laut zu lachen. Der Mann musste der Frau wohl einen besonders
guten Witz erzählt haben. Dabei langte er blitzschnell in den Korb
und ließ ihr Portemonnaie in seiner großen Hand verschwinden.
Die Frau hatte nichts bemerkt, sie wischte sich noch immer die Lachtränen
aus den Augen.
Opa sagte leise: "Wir unternehmen noch nichts. Ich glaube, er wird
jetzt, passend für uns, am Jungfernstieg aussteigen."
Ich war so aufgeregt, dass ich nicht antworten konnte. Opa hatte recht:
Der Mann stand auf, grinste die Frau zum Abschied scheinheilig an und
ging zur Tür. Wir wollten hier ja sowieso aussteigen, konnten also
ganz cool bleiben. Wir gingen hinterher, als ob wir ihn nicht sehen würden.
Er ging in Richtung Rathausmarkt, und wir blieben ihm auf den Fersen bis
zur Mönckebergstraße. Er hatte nichts gemerkt und betrat die
Petrikirche. Wir schlenderten wie Touristen hinterher.
Er legte 50 Cent auf einen Teller und zündete ein Licht an. Er stellte
es zu den anderen brennenden Kerzen.
Opa lachte. "Das ist ein ganz schlimmer! Der denkt, der liebe Gott
verzeiht ihm, weil er 50 Cent gespendet hat und dann noch von geklautem
Geld!"
Der Mann ging schnell zum Ausgang. Wir wieder hinter ihm her, über
die Straße und zu Karstadt rein. Er guckte sich im Erdgeschoss verschiedene
Dinge an, blieb aber auf dem Hauptgang, wo die Menschen nur so vorbeiströmten.
Er spazierte einige Male hin und her, um sich sein Opfer herauszupicken.
Jetzt hatte er es wohl gefunden! Sein Gang wurde ein Schleichen, wie bei
einem Panther.
Wir merkten sofort, was er vorhatte. Vor ihm ging ein junger Mann, mit
einem Hemd und einer schwarzen Jeanshose. Aus der Gesäßtasche
guckte eine Brieftasche. Rasch ging er an ihm vorbei. Und dann sahen wir,
wie er mit einem plötzlichen Griff die Brieftasche in der Hand hatte,
ohne dass der junge Mann es merkte. Dann begann er zu flitzen wie ein
Kaufhausdieb. Aber die Alarmanlage blieb stumm, kein Detektiv kam angelaufen.
Die Brieftasche stammte ja nicht von Karstadt!
Draußen ging er gleich auf die andere Straßenseite und die
Treppe zur U-Bahnstation Mönckebergstraße runter. Wir blieben
ihm auf der Spur. Welch ein Glück oder auch Zufall! Auf dem Bahnsteig
standen drei Männer von der U-Bahnwache. Opa ging sofort zu ihnen
und erklärte alles. Zwei Mann nahmen den Dieb sofort in ihre Mitte.
Er versuchte noch, sich loszureißen und pöbelte, hatte aber
gegen diese kräftigen Männer keine Chance.
Der dritte Mann blieb bei uns stehen und ließ sich von Opa alles
genau schildern. "Dann steht Ihnen ja die Belohnung zu!" sagte
er zu Opa. "Ne!" protestierte Opa. "Mien Enkelkind hett
de Narv an de linke Siet vun sien asig Freet opdeckt. He mutt de Belohnung
hebben!"
Der Wachmann lachte mich freundlich an und sagte: "Wie heißt
du denn, mein Junge? Ich notiere das gleich, das wird dann amtlich. Wir
müssen den Mann allerdings der Polizei übergeben. Zu Verhaftungen
sind wir nicht befugt."
"Lukas", antwortete ich.
"Bukas? Was ist das denn für ein seltsamer Name?!"
"Nein, da haben Sie sich verhört! Ich heiße Lukas mit
L'!"
"Jetzt habe ich verstanden! Wie Lukas, der Lokomotivführer.
Und wo wohnst du?"
"Fünfstück Nummer 12."
"Wie bitte? Rundstück Nummer 12?" Er griente, und ich wusste
gleich, dass er nichts mit den Ohren hatte! Er hob seine rechte Hand und
spreizte die Finger. "Das sind Fünfstück'!"
Opa und ich mussten auch lachen.
"Du bist doch bestimmt schon sieben!"
"Nein, ich bin erst sechs Jahre alt!"
Der Mann lächelte und erwiderte: "Jung! Du bist sechs Jahre
jung! Alt ist dein Opa, ungefähr siebzig!" Danach wurde er ernst
und sagte: "Wenn das stimmt, was Sie zu Protokoll gegeben haben,
bekommt Ihr Enkel das Geld."
Er gab uns die Hand und stieg in einen gerade angekommenen Zug.
Opa sah auf die Uhr und sagte: "Wir gehen jetzt noch ein bisschen
spazieren. Die erste Fahrt mit der Sankt Georg' haben wir verpasst.
Die zweite beginnt erst in einer Stunde."
Ich war schon wieder oder immer noch aufgeregt und sagte: "1000 Euro
soll ich bekommen? Soviel Geld habe ich noch nie gesehen! Dann kaufe ich
dafür die 'Sankt Georg'! Oder meinst du, dass sie teurer ist?"
"Nein!" antwortete Opa. "Nur im richtigen Leben! Im Märchen
kannst du die ganze Welt für tausend Euro kaufen!
|